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Remarque, Erich Maria - Arc de Triomphe

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08.06.2015
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Seite schrammte den Möbelwagen. Selma Stern zuckte, sagte aber nichts. Stern sah es gar nicht. Er überzählte seine Visa und seine Papiere.

»Nichts sieht so jammervoll aus, wie Möbel auf der Straße«, sagte Morosow.

Die Sachen der Familie Wagner standen jetzt da. Ein paar Stühle, ein Bett, das schamlos und traurig wirkte, so mitten auf der Straße. Zwei Ko er – Viareggio, das Grand Hotel Gardone, das Adlon, Berlin. Ein drehbarer Spiegel in einem Goldrahmen, in dem die Straße sich spiegelte. Küchengeräte – man verstand nicht,wozu das nach Amerika mitgenommen werden sollte.

»Verwandte«,sagte LeonieWagner.»Verwandte in Chikago haben das alles für uns gemacht. Sie haben uns das Geld geschickt und das Visum besorgt. Nur ein VisitorVisum. Man muß dann nach Mexiko gehen. Verwandte. Verwandte von uns.«

Sie war beschämt. Sie fühlte sich wie ein Deserteur, solange sie die Augen der Zurückbleibenden auf sich fühlte. Sie wollte deshalb rasch weg.Sie half selbst mit,die Sachen in den Möbelwagen zu schieben. Sie würde aufatmen, wenn sie nur um die nächste Ecke war.Und die neue Angst würde beginnen. Ob das Schi auch ginge. Ob man sie an Land ließe. Ob man sie nicht zurückschickte. Es war immer eine Angst nach der anderen. Seit Jahren.

Der Junggeselle Stolz hatte fast nichts als Bücher. Einen Ko er mit Kleidern und seine Bibliothek. Erstdrucke, alte

Ausgaben,neue Bücher.Er war verwachsen,rothaarig und schweigsam.

Eine Anzahl der Zurückbleibenden sammelte sich langsam in der Tür vor dem Hotel. Die meisten sagten nichts. Sie sahen nur die Sachen und den Möbelwagen an.

»Auf Wiedersehen dann«, sagte Leonie Wagner nervös. Es war alles eingeladen. »Oder good bye.« Sie lachte irritiert. »Oder adieu. Man weiß ja heute nicht mehr.«

Sie begann ein paar Hände zu schütteln. »Verwandte drüben«, sagte sie. »Verwandte. Wir selber hätten natürlich nie …«

Sie hörte bald auf. Der Doktor Ernst Seidenbaum klopfte ihr auf die Schulter.»Macht nichts.Manche haben Glück, manche nicht.«

»Die meisten nicht«, sagte der Emigrant Wiesenho . »Macht nichts. Gute Reise.«

Josef Stern verabschiedete sich von Ravic und Morosow und einigen anderen. Er lächelte wie jemand, der einen Bankbetrug begangen hatte. »Wer weiß, wie es noch wird. Vielleicht sehnen wir uns noch nach dem international zurück.«

Selma Stern saß bereits imWagen.Der Junggeselle Stolz verabschiedete sich nicht. Er fuhr nicht nach Amerika. Er hatte nur Papiere bis Portugal. Er hielt das für zu unbedeutend für eine Abschiedsszene. Er winkte nur kurz, als der Wagen losratterte.

Die Zurückbleibenden standen wie eine Schar verreg-

neter Hühner herum. »Komm«, sagte Morosow zu Ravic. »Auf, in die Katakomben! Dies schreit nach Calvados!« Sie saßen kaum, als die anderen hereinkamen. Sie trieben herein wie losgerissene Blätter vor einem Wind. Zwei Rabbis, bleich, mit schütteren Bärten, Wiesenho , Ruth Goldberg, der Schachautomat Finkenstein, der Fatalist Seidenbaum, eine Anzahl Ehepaare, ein halbes Dutzend Kinder, Rosenfeld, der Besitzer der Impressionisten, der doch nicht weggekommen war, ein paar Halbwüchsige

und einige sehr alte Leute.

Es war noch zu früh für das Abendessen; aber es schien, daß keiner von allen in die Einsamkeit des Zimmers hinauf wollte. Sie hockten zusammen. Sie waren leise, fast ergeben. Sie hatten so viel Unglück gehabt; es kam schon fast nicht mehr darauf an.

»Die Aristokratie ist abgereist«, sagte Seidenbaum. »Hier tagt jetzt die Versammlung der lebenslänglich oder zum Tode Verurteilten. Das auserwählte Volk! Jehovas Lieblinge! Speziell für Pogrome. Es lebe das Leben.«

»Da ist immer noch Spanien«, sagte Finkenstein. Er hatte das Schachbrett vor sich und die Schachaufgabe des »Matin«.

»Spanien. Die Faschisten küssen die Juden, wenn sie herüberkommen.«

Die dicke, elastische Kellnerin brachte den Calvados. Seidenbaum setzte sein Pincenez auf. »Nicht einmal das können die meisten von uns«, erklärte er, »sich gründlich

betrinken. Eine Nacht des Elends los sein. Nicht einmal das. Die Nachkommen Ahasvers. Selbst er, der alte Wanderer, würde verzweifeln; heute, ohne Papiere, käme er nicht weit.«

»Trinken Sie einen mit«,sagte Morosow.»Der Calvados ist gut.DieWirtin weiß es noch nicht,gottlob.Sonst würde sie den Preis erhöhen.«

Seidenbaum schüttelte den Kopf. »Ich trinke nicht.« Ravic sah auf einen Mann, der ziemlich unrasiert war und alle Augenblicke einen Spiegel hervorholte,sich darin betrachtete und nach einer Weile von neuem damit begann. »Wer ist das?« fragte er Seidenbaum. »Den habe ich

noch nie hier gesehen.«

Seidenbaum verzog die Lippen.»Das ist der neue Aaron Goldberg.«

»Wieso? Hat die Frau so rasch wieder geheiratet?« »Nein. Sie hat ihm den Paß des toten Goldberg ver-

kauft. Zweitausend Frank. Der alte Goldberg hatte einen grauen Bart; deshalb läßt sich der neue drüben auch einen wachsen. Wegen der Paßfotografie. Sehen Sie nur, wie er zupft und zupft. Er traut sich nicht, den Paß zu benutzen, bevor er einen ähnlichen Bart hat.Es ist ein Rennen gegen die Zeit.«

Ravic betrachtete den Mann,der nervös an seinen Stoppeln zerrte und sie mit dem Paß verglich.»Er kann immer noch sagen, der Bart wäre ihm abgebrannt.«

»Gute Idee. Ich werde ihm das erklären.« Seidenbaum

nahm sein Pincenez ab und schaukelte es hin und her. »Makabre Sache«, lächelte er. »Es war ein reines Geschäft vor zwei Wochen.Jetzt ist Wiesenho bereits eifersüchtig, und Ruth Goldberg ist konfus. Dämonie des Papiers.Auf dem Papier ist er ihr Mann.«

Er stand auf und ging zu dem neuen Aaron Goldberg hinüber.

»Dämonie des Papiers gefällt mir.« Morosow wandte sich an Ravic. »Was machst du heute?«

»Kate Hegström fährt abends mit der ›Normandie‹. Ich werde sie nach Cherbourg bringen. Sie hat ihren Wagen. Ich nehme ihn zurück und bringe ihn zur Garage. Sie hat ihn dem Garagenbesitzer verkauft.«

»Kann sie reisen?«

»Natürlich. Es ist ganz gleich, was sie macht. Das Schi hat einen guten Arzt. In New York …« Er zuckte die Achseln und trank sein Glas aus.

Die Luft in den Katakomben war schwül und tot. Der Raum hatte keine Fenster. Unter der verstaubten, künstlichen Palme saß ein altes Ehepaar.Sie waren völlig versunken in eine Traurigkeit, die sie wie eine Mauer umstand. Sie saßen regungslos, Hand in Hand, und es schien, als könnten sie sich nicht mehr erheben.

Ravic hatte plötzlich das Gefühl, aller Jammer der Welt sei eingesperrt in diesen unterirdischen Raum, dem das Licht fehlte. Die kranken, elektrischen Birnen hingen gelb und verwelkt an den Wänden und machten es noch

trostloser.Das Schweigen,das Flüstern,das Kramen in den hundertmal umgewendeten Papieren, das Überzählen, das stumme Dasitzen, die hilflose Erwartung des Endes, das krampfhafte bißchen Courage, das tausendmal gedemütigte Leben, das nun, in die Ecke gedrängt, entsetzt, nicht mehr weiter konnte – er spürte es auf einmal, er konnte es riechen,er roch die Angst,die letzte,riesenhafte, schweigende Angst, er roch sie, und er wußte, wo er sie vorher gerochen hatte – im Konzentrationslager, als man die Leute von den Straßen, aus den Betten hineingetrieben hatte und sie in den Baracken standen und darauf warteten, was mit ihnen geschehen würde.

Am Tisch neben ihm saßen zwei Leute. Eine Frau, die das Haar in der Mitte gescheitelt hatte, und ihr Mann.Vor ihnen stand ein Junge von ungefähr acht Jahren. Er hatte herumgehorcht an den Tischen und war jetzt herübergekommen. »Warum sind wir Juden?« fragte er die Frau.

Die Frau antwortete nicht. Ravic sah Morosow an.

»Ich muß los«, sagte er. »Zur Klinik.« »Ich muß auch weg.«

Sie gingen die Treppe hinauf. »Zuviel ist zuviel«, sagte Morosow. »Das sage ich dir als ehemaliger Antisemit.«

Die Klinik war eine optimistische Angelegenheit nach den Katakomben. Auch hier war Qual, Krankheit und Elend – aber hier hatte es wenigstens eine Art von Logik und Sinn. Man wußte, weshalb es so war und was zu tun

und nicht zu tun war. Es waren Fakten; man konnte sie sehen, und man konnte versuchen, etwas dagegen zu tun.

Veber saß in seinem Untersuchungszimmer und las eine Zeitung.Ravic sah ihm über die Schulter.»Allerhand, was?« fragte er.

Veber warf die Zeitung auf den Boden.»Diese korrupte Bande! Aufhängen sollte man fünfzig Prozent unserer Politiker.«

»Neunzig«, erklärte Ravic. »Haben Sie noch etwas von der Frau gehört, die bei Durant in der Klinik liegt?«

»Sie ist in Ordnung.«Veber gri nervös nach einer Zigarre. »Für Sie ist das einfach, Ravic. Aber ich bin Franzose.« »Ich bin gar nichts. Aber ich wollte, Deutschland wäre

nur so korrupt wie Frankreich.«

Veber sah auf. »Ich rede Unsinn. Entschuldigen Sie.« Er vergaß, die Zigarre anzuzünden. »Es kann keinen Krieg geben, Ravic! Es kann einfach nicht! Es ist Gebell und Gedrohe. Im letzten Augenblick wird noch etwas geschehen!«

Er schwieg eine Zeitlang. All seine frühere Sicherheit war vorbei. »Wir haben schließlich noch die Maginotlinie«, sagte er dann, beinahe beschwörend.

»Natürlich«, erwiderte Ravic ohne Überzeugung. Er hatte das tausendmal gehört. Unterhaltungen mit Franzosen endeten meistens damit.

Veber wischte sich die Stirn. »Durant hat sein Vermö-

gen nach Amerika geschickt. Seine Sekretärin hat es mir gesagt.«

»Typisch.«

Veber sah Ravic mit gehetzten Augen an. »Er ist nicht der einzige. Mein Schwager hat seine französischen Papiere gegen amerikanische eingewechselt. Gaston Nerée hat sein Geld in Dollarnoten in einem Safe. Und Dupont soll ein paar Säcke Gold vergraben haben in seinem Garten.« Er stand auf. »Ich kann nicht darüber reden. Ich weigere mich.Es ist unmöglich.Es ist unmöglich,daß man Frankreich verraten und verschachern kann.Wenn Gefahr droht, wird sich alles zusammenfinden. Alles.«

»Alles«, sagte Ravic, ohne zu lächeln. »Auch die Industrie und die Politiker, die jetzt schon Geschäfte mit Deutschland machen.«

Veber bezwang sich. »Ravic – wir – wollen wir lieber von etwas anderem reden?«

»Gut. Ich bringe Kate Hegström nach Cherbourg. Ich bin um Mitternacht zurück.«

»Schön.« Veber atmete heftig. »Was … was haben Sie vorbereitet für sich, Ravic?«

»Nichts.Ich werde in ein französisches Konzentrationslager kommen. Es wird besser sein als ein deutsches.«

»Ausgeschlossen. Frankreich wird keine Refugiés einsperren.«

»Warten wir ab.Es ist selbstverständlich,und man kann nichts dagegen sagen.«

»Ravic …«

»Schön. Warten wir ab. Ho en wir, Sie haben recht. Wissen Sie, daß der Louvre geräumt wird? Man schickt die besten Bilder nach Mittelfrankreich «

»Nein. Woher wissen Sie das?«

»Ich war heute nachmittag da. Die blauen Fenster der Kathedrale von Chartres sind ebenfalls schon verpackt. Ich war gestern da. Sentimentale Reise. Wollte sie noch einmal sehen. Sie waren schon fort. Ein Flugplatz ist zu nahe dabei. Neue Fenster waren schon drin. So, wie im vorigen Jahr zur Zeit der Münchner Konferenz.«

»Sehen Sie!«Veber klammerte sich sofort daran.»Damals ist auch nichts geschehen.GroßeAufregung,und dann kam Chamberlain mit dem Regenschirm des Friedens.«

»Ja. Der Regenschirm des Friedens ist noch in London

– und die Göttin des Sieges steht noch im Louvre – ohne Kopf. Sie bleibt. Zu schwer zu transportieren. Ich muß gehen. Kate Hegström wartet.«

Die »Normandie« lag weiß mit tausend Lichtern in der Nacht am Kai.Der Wind kam kühl und salzig vom Wasser her. Kate Hegström zog ihren Mantel fester um sich. Sie war sehr dünn. Ihr Gesicht hatte fast nur noch Knochen, über die sich die Haut spannte, und darüber lagen, erschreckend groß, die Augen wie dunkle Teiche.

»Ich bliebe lieber hier«, sagte sie. »Es ist plötzlich so schwer, wegzugehen.«

Ravic starrte sie an. Da lag das mächtige Schi , die Gangway hell erleuchtet,Menschen strömten hinein,viele davon so eilig, als fürchteten sie, im letzten Moment noch zu spät zu kommen; da lag der schimmernde Palast, und er hieß nicht mehr »Normandie«, er hieß Entkommen, Flucht, Rettung; er war in tausend Städten und Zimmern und dreckigen Hotels und Kellern Europas für Zehntausende von Menschen eine unerreichbare Fata Morgana des Lebens, und hier sagte jemand neben ihm, dem der Tod die Eingeweide zerfraß, mit dünner und lieblicher Stimme: »Ich bliebe lieber hier.«

Es hatte alles keinen Sinn. Für die Emigranten im »International«, für die tausend »Internationais« in Europa, für all die Gehetzten, Gefolterten, Fliehenden, Gestellten, wäre dieses das gelobte Land gewesen; sie wären zusammengebrochen, hätten geschluchzt und die Gangway geküßt und an Wunder geglaubt, wenn sie den Fahrscheinzettel gehabt hätten, der in der müden Hand neben ihm flatterte, das Fahrscheinheft eines Menschen, der ohnehin in den Tod fuhr und der gleichzeitig sagte: »Ich bliebe lieber hier.«

Eine Gruppe Amerikaner kam heran. Langsam, herzlich, laut. Sie hatten alle Zeit der Welt. Die Gesandtschaft hatte sie gedrängt, zu fahren. Sie diskutierten es. Schade eigentlich! Es wäre »fun« gewesen, sich die Sache weiter anzusehen. Was konnte ihnen schon passieren? Der Gesandte! Man war neutral! Schade eigentlich!

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