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Deutsche_Stilistik

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Glaubwürdigkeit

Mit dem Begriff der »Glaubwürdigkeit« als einer Forderung an den Sprachstil des einzelnen lösen wir uns von den bisher beachteten, überwiegend sprachimmanenten Aspekten. Wir gelangen in den Bereich des Ethischen, zu dem letztlich alle menschlichen Sprachäußerungen gehören, insofern wir mit Hilfe der Sprache zu bestimmten Sachverhalten der erlebten oder erdachten Wirklichkeit oder der eigenen Befindlichkeit Stellung nehmen und dabei die Möglichkeit haben, die »Wahrheit« zu sagen oder zu lügen.

Wir können hier nicht die Schwierigkeiten des Wahrheitsbegriffs und seiner Auswirkungen auf die Sprache erörtern; uns interessiert nur die sprachlichstilistische Relevanz dieser vielschichtigen Problematik. Daß es bei der Glaubwürdigkeit bestimmter Aussagen auch um stilistische Fragen geht, scheint außer Zweifel zu stehen; die Interpretation historischer Aussagen, nicht zuletzt auch die zahlreichen Fragen der Bibelkritik73, haben dies oft genug deutlich werden lassen. Schwierig ist es allerdings, hierbei eindeutige Angaben zu machen und klare Regeln aufzustellen.

Alle menschliche Rede sollte auf Wahrheit, auf der Entsprechung der sprachlichen Aussage mit dem begrifflich Gemeinten und – soweit möglich – dem wirklichen Sachverhalt, beruhen, sofern eme solche Entsprechung sprachlich ausdrückbar ist. Dies ist nicht nur eine Forderung des Sittengesetzes bei allen Völkern, es ist auch ein Erfordernis der sprachlichen Kommunikation, da nur so eine Verständigung der Menschen über die sie umgebende Wirklichkeit und untereinander möglich ist. Jede Sprache bietet genügend Ausdrucksmittel, um Angaben über Sachverhalte zu machen und sie als zutreffend oder unzutreffend zu kennzeichen.74 Die Sprache kennt aber auch stilistische Mittel, um das eine zu sagen und ein anderes zu meinen. Wir denken dabei zunächst an die Mittel der Ironie.75 Wenn man z.B. gegenüber jemandem, der eine wichtige Aufgabe vergessen hat, die Bemerkung macht: Auf dich kann man sich verlassen!, so ist dieser Satz ja nicht im wörtlichen Sinne aufzufassen. Dies wird allerdings nur deutlich, wenn der situative Kontext des Satzes bekannt ist. Niemand kann hier den Vorwurf der Unglaubwürdigkeit oder Lüge erheben, wenn er weiß, daß eine scheinbar lobende Aussage in einer nicht lobenswerten Situation das Gegenteil bedeuten kann.

Schwieriger ist die Beurteilung der Aussagen älterer Texte, in denen uns ein solcher Kontext verschwiegen wird. Hier sind wir ebenso wie beim Fehlen eines situativen Kontextes in neueren Texten auf den sprachlichen Text allein angewiesen. Nur das gesagte Wort kann uns dann verdeutlichen, ob eine Aussage so gemeint ist, wie sie gesagt wird. Das zu erkennen ist nicht leicht, denn jeder Sprecher oder Schreiber wird bemüht sein, nicht von vornherein als Lügner entlarvt zu werden, sondern moglichst glaubwürdig zu wirken, auch wenn er nicht für seine Formulierungen einstehen kann. Vor Gericht gilt noch immer die Lebensweise eines Menschen als ein (wenn auch recht unsicheres) Kriterium seiner Glaubwürdigkeit. In Reden und Briefen können wir nicht nach dem Verhalten fragen. Wir erwarten allerdings, daß die Sprache eines Menschen seine Überzeugung glaubwürdig wiedergibt, können

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dies aber nur (wenn wir von inhaltlichen Beteuerungen absehen) aus der Individualität seines Sprachausdrucks, also aus seinem Stil, vermuten, sofern der bereits zitierte Gedanke Buffons, daß sich im Stil der Mensch selbst offenbare, so eine gewisse Berechtigung besitzt.

Dabei wird vorausgesetzt, daß die Menschen über eine ausreichende Ausdrucksfähigkeit und über die Neigung verfügen, persönliche Empfindungen und Stellungnahmen in möglichst individueller Weise auszudrücken. Dieses Verhaltensund Stilideal ist in der2. Hälfte des 18. Jhs. als Reaktion gegen erstarrte Verhaltensund Sprachnormen von den Autoren der literarischen Bewegungen der Empfindsamkeit und des »Sturm und Drang« durchgesetzt worden, die mit der Forderung nach möglichst natürlichem Ausdruck zugleich ein neues Ideal des humanen Menschen verbanden.

Am 30.12.1743 schreibt der 14jährige Lessing seiner 12jährigen Schwester Dorothea: »Schreibe wie du redest, so schreibst du schön!« 1765 schreibt der 16jährige Goethe seiner Schwester Cornelia: »Merke dies: Schreibe nur wie du reden würdest, und so wirst du einen guten Brief schreiben«76, und korrigiert anschließend eine Reihe unnatürlicher Wörter und Wendungen im Brief seiner Schwester. Die Natürlichkeit und Echtheit des Empfindens war zum Maßstab für den guten sprachlichen Ausdruck geworden. Das Gegenteil dieses Stilideals ist, damals wie heute, die Formelhaftigkeit77, das Zurückgreifen auf Ausdrucksmuster, die jedermann in bestimmten Situationen benutzen kann, ohne sein persönliches Denken und Fühlen darlegen zu müssen. Diese Formelhaftigkeit begegnet uns in verschiedenen Erscheinungen. Traditionelle Ausdrucksmuster bestimmter Funktionalstile (z.B. Geschäftsbriefe) können ebenso dazugehören wie allgemeine Redensarten und Phrasen, politische Schlagwörter oder religiöse oder sentimentale Klischees, rational geprägte Sagweisen ebenso wie gefühlsbeladene Wendungen. Die Erfahrung lehrt, daß die Gefahr des formelhaften unpersönlichen Sprechens im Bereich der Gefühlsempfindungen und Gefühlswertungen zumeist größer ist als im Bereich rational bestimmter Mitteilungen.

Als eine besonders verbreitete Form der gefühlsbetonten Unechtheit hat der Kitsch zu gelten, die klischeeartige, oft serielle Imitation und Übersteigerung des Gefühlsausdrucks, wie sie uns in der Trivialliteratur, in manchen Filmen und Bildern, im Schlager wie in der Salonmusik und in anderen Darstellungsbereichen begegnet. Der literarische Kitsch (um den es hier besonders geht)78 hat vieles mit anderen ästhetischen Gebilden gemeinsam; er spricht wie sie die Sinne an, weckt und verstärkt Gefühle und Assoziationen, jedoch ohne ihre Problematik künstlerisch zu vertiefen. Diese Probiemlosigkeit macht viele Leser für den Kitsch empfänglich.

Die Flucht in die Formelhaftigkeit ist allerdings bei manchen Menschen weniger ein Zeichen mangelnden Sprachempfindens und stilistischen Differenzierungsvermögens, sondern mitunter Ausdruck echter Sprachnot. Wie oft mag es geschehen, daß einem zur Bekundung der Trauer beim Tode eines Bekannten nur die gängigen Formeln der Beileidskarten und Nachrufe zur Verfügung stehen? Und werden nicht täglich von neuem bestimmte Wertungsausdrücke in der Warenwerbung zur Formelhaftigkcit mit entleertem

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Gefühlswert herabgewürdigt, so daß sich mancher scheut, derart abgenutzte Wörter zu verwenden? Die Lyriker haben diese Erscheinung der Sprachnot bereits zu Beginn des 20. Jhs. als Problem empfunden79 und wiederholt nach neuen Aussageweisen und -formen gesucht, um nicht unecht und unglaubwürdig zu werden.

Was die Lyriker zur Ausbildung neuer Sagweisen trieb, ist im Grunde genommen ein Problem für alle, die Aufgabe nämlich, individuellen Ausdruck und kommunikative Verständigung in rechter Weise zu verbinden. Der didaktischen wie deskriptiven Stilistik, die um der Wahrung der menschlichen Individualität und Freiheit willen die Pflicht zu persönlichem Sprachausdruck in bestimmten Verwendungsbereichen betonen muß, ohne die kommunikativen Aspekte des Sprachgebrauchs zu vernachlässigen, kommt hierbei eine große Bedeutung und Verantwortung zu. Sie hat den Klischeecharakter vieler Wörter und Wendungen zu entlarven und Möglichkeiten einer formelfreien Sprachverwendung aufzuzeigen. Ein guter individueller Stil, der Klischees und Formeln, Stilbrüche und andere stilistische Ungereimtheiten im persönlichen Ausdruck zu meiden sucht, bietet dem Sprecher wie dem Hörer bzw. Leser noch keine Garantie für die Glaubwürdigkeit des Gesagten, wohl aber Hinweise auf die mögliche Übereinstimmung von Sprechen und Denken.

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Stilmittel im Rahmen des Satzbaus

Zum Begriff der Stilmittel und ihrer Werthaltigkeit

Jede Form von Stil beruht auf dem Zusammenwirken charakteristischer Einzelelemente in einem bestimmten Kontext, die einen bestimmten Eindruck hervorrufen. Sie werden als Stilmittel, Stilelemente oder Stilistika bezeichnet.1 Das Erlebnis des Stils als eines einheitlichen Formgepräges rundet sich erst nach dem Erfassen aller Stilistika, es wird jedoch bereits in der Begegnung mit einzelnen Stilmitteln angeregt. Diese besitzen daher jeweils einen eigenen Eindruckswert2, der sich aus dem Verhältnis dieser Elemente zum Textinhalt und zueinander wie zu ihren möglichen oder erwarteten Varianten ergibt. Davon zu unterscheiden ist der Ausdruckswert eines Stilmittels, die Wirkungsabsicht, die der Autor ihm zuschreibt. Eine Wiederholung z.B. kann als Unterstreichung einer bestimmten Aussage gemeint sein (Ausdruckswert) und empfunden werden (Eindruckswert), ein Archaismus als Versuch einer besonderen Bewertung des Gemeinten, eine Umstellung der gewohnten Wortfolge als aufmerksamkeitheischende Verfremdung usw. Doch besitzt auch jedes »nichtabweichende« Ausdruckselement im Zusammenhang mit anderen einen bestimmten Stilwert, eine bestimmte Wirkungsqualität, die man im Gegensatz zu den »außergewöhnlichen« (expressiven) Stilmitteln in Analogie zu grammatischen Gradeinteilungen als nullexpressiv zu bezeichnen pflegt.3

Ausdruckswert, Eindruckswert und Stilwert eines Stilmittels sind also nicht identisch. Der Ausdruckswert und der Eindruckswert beziehen sich (im Sinne des einfachen Kommunikationsmodells) auf die Intentionen von Sender und Empfänger, die im Idealfall identisch sein können, infolge der stilistischen Wirkungseigenschaften der Einzelelemente und der unterschiedlichen Verstehensfähigkeit der Empfänger (aufgrund unterschiedlicher Codes, Erfahrungen und Verstehenshorizonte) mitunter aber differieren. Ausdruckswert und Eindruckswert werden oft gleichgesetzt, vor allem in Fällen werkimmanenter Textinterpretation, in denen der Interpret den subjektiv erlebten Eindruckswert für den stilistischen Ausdruckswert des Textes (die Intention des Autors) hält.4 Die Interpretation steht hier insbesondere bei Texten früherer Zeiten vor zahlreichen Schwierigkeiten, die erst durch eine sorgfältige historische Erforschung der Stilmittel und ihrer Ausdruckswerte verringert werden können. Eine solche Aufgabe ist verhältnismäßig einfach bei den Texten zu lösen, deren Gestaltung nach bestimmten Normen der literarischen Rhetorik erfolgte, wie sie in Antike, Mittelalter und früher Neuzeit (etwa bis zur Mitte des 18. Jhs.) für die einzelnen Textsorten bzw. Gattungen gültig waren, wird aber dort problematisch, wo die Stilgestaltung allein dem

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subjektiven Empfinden des Autors unterlag, besonders wenn der Sprachgebrauch des Autors und des Slilbetrachters (Empfängers) in Wortschatz und Syntax nicht mehr übereinstimmen. Auch in solchen Fällen ist es erforderlich, die stilistischen Möglichkeiten des Autors, seiner Zeit und der jeweiligen Literaturgattungen zu erforschen. Allerdings muß dies einzelnen Stilmonographien vorbehalten bleiben.

Der Stilwert5 der einzelnen Stilmittel, d.h. die Festlegung ihrer Stilfärbung, Stilschicht oder jeweiligen Expressivität unterscheidet sich vom sprecherbezogenen »Ausdruckswert« wie vom empfängerbezogenen »Eindruckswert« durch seine Beziehung auf die Gesamtheit und Gesamtwertung eines Textes. Ein Stilmittel besitzt keinen gleichbleibenden funktionalen Wert. Es kann in verschiedenen Zusammenhängen unterschiedliche Wirkungen ausüben und unterschiedliche Stellenwerte besitzen, die sich stets aus der Stilstruktur eines größeren Ganzen ergeben. Eine Beschreibung der Stilmittel kann daher keine feststehenden Stilwerte aufzeigen, allenfalls bestimmte Erfahrungswerte, wie sie sich mit bestimmten Wortarten oder Redefiguren verbinden. Die Bestimmung der Stilweite kann erst in der Einzelanalyse des Textes vorgenommen werden (vgl. S. 275 ff.). Es ist jedoch für jede Stilgestaltung wie für jede Stilanalyse vorteilhaft, die wichtigsten Stilelemente und ihre Anwendungsbereiche zu erkennen.

In den folgenden Kapiteln suchen wir einen Überblick über die Gesamtheit der Stilmittel der gegenwärtigen deutschen Hochsprache zu geben. Dabei kommen gemäß der zugrunde liegenden selektiven Stilauffassung alle grammatischen und semantisch-lexischen Ausdruckselemente (Sprachzeichen und -zeichenkombinationen) in Frage, die in synonymer und annähernd synonymer Verwendung, also im gleichen Kontext, auftauchen können. Wir beziehen dabei auch die grammatischen Kategorien in diesen Überblick ein, soweit dem Sprecher hierbei unterschiedliche Ausdrucksmöglichkeiten zur Verfügung stehen.

Stilistische Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen des Satzbaus

Stilistische Phänomene sind vorwiegend Gegebenheiten des Textes, also satzübergreifender Zusammenhänge. Erst in der Wiederholung solcher Erscheinungen im Textbereich erkennen wir eine bestimmte Stilgestaltung. Wir haben deshalb Überlegungen zum Textbegriff und zur Textgestaltung vorangestellt und werden wiederholt auf diese Probleme zurückkommen. Die größere Texteinheit setzt sich jedoch aus zahlreichen Satzeinheiten zusammen Viele Textstilistika erweisen sich als syntaktische Stilmittel des Satzbereichs. Erst hier werden sie für uns faßbar und beschreibbar. Wir beginnen deshalb unsere Übersicht über die einzelnen Stilmittel mit den stilistischen Variationsmöglichkeiten im Rahmen der Satzgestaltung und lenken

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dabei unsere Aufmerksamkeit auf Gegenstände, die zu den wichtigsten Objeken der gegenwärtigen Grammatikforschung zählen. Während aber die Grammatiker bedacht sind, die Zahl, Form und Funktionsweise der syntaktischen Regularitäten zu erforschen, auf Grundformen zurückzuführen und in angemessener Strenge und Ausführlichkeit darzustellen, mitunter zu formalisieren, suchen wir gewissermaßen das Gegenteil zu beschreiben, nämlich die Arten und Formen der syntaktischen Ausdrucksvariationen, zu denen auch manche »Irregularitäten« gehören, die bei strenger Normauffassung als »ungrammatisch« gelten könnten6, aber gerade durch ihren ungewöhnlichen Charakter stilistisch wirksam sind. Den Ausführungen zur Satzstilistik wäre vorauszuschicken, was unter einem Satz im folgenden zu verstehen ist. Wir können hier jedoch nicht auf die Unzahl der Satz-Definitionen der Grammatik eingehen7, sondern müssen uns mit zwei vorläufigen Bestimmungen begnügen, der Kennzeichnung des Satzes all eines sprachlichen Gebildes, das in der Regel durch zwei Punkte eingerahmt wird, und seiner Charakterisierung als einer mehr oder gegliederten inhaltlichen Einheit, die durch die Setzung eines Nominalteils und eines ihm zugeordneten Prädikatsteils eine bestimmte Aussagespannung hervorruft und löst.8 Stilistisch ist besonders die zweite Auffassung von Belang.

Wir beginnen zunächst mit der Übersicht über die quantitativen Möglichkeiten des Satzbaus.

Der Satzumfang als stilistisches Mittel

Unsere Darlegungen zur Texttheorie ergaben bereits, daß die Menge der Informationen, die in einem Text vermittelt werden soll, je nach Verwendungszweck, Textsorte, Individual und Funktionalstil, der Situation und anderen Motiven verschieden verteilt werden kann. Die Erfahrung lehrt, daß sich dabei zwar keine einheitlichen Quantitäten des Satzumfangs herausbilden – das würde dem bereits genannten Prinzip der Variation als Meidung der Wiederholung widersprechen –, wohl aber bestimmte Durchschnittswerte, die als charakteristisch für den jeweiligen Stil gelten können. Dieser Durchschnittswert, der nach einer gewissen Menge von Sätzen als syntaktischer Erwartungswert sowohl für den Satzumfang wie für die Typik des Satzbaus genannt werden kann, ist besonders in der statistischen Stilistik zum beliebten Untersuchungsgegenstand geworden, weil derartige Angaben in größerem Maße nur mit Hilfe von elektronischen Rechnern zu ermitteln sind.9

Es ist zwar nicht möglich, für die einzelnen funktional geprägten Texte bestimmte Durchschnittswerte von vornherein festzulegen; es lassen sich aber einzelnen Textsorten bestimmte syntaktische Gestaltungstendenzen zuordnen, wobei sich jedoch individuelle Variationen ergeben. So sind z.B. die Sätze in lyrischen Texten wie in Werbetexten oder in der mündlichen Rede verhältnismäßig kurz und mehr parataktisch gefügt, während wissenschaftliche

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Texte häufig durch lange und hypotaktisch gefügte Sätze gekennzeichnet sind. Zwischen den beiden Polen des kurzen und des langen Satzes liegt das breite Feld der erzählerischen wie ausführlicher mitteilenden Texte. Im folgenden sollen diese drei syntaktischen Umfangsbereiche näher erläutert werden.

Der kurze Satz

Als kurze Sätze seien hier einfache und erweiterte Sätze bis zu 3-5 einfachen Satzgliedern (z.B. Subjekt-Prädikat-Objekt-einzelne adverbiale Angaben) sowie einfache Satzverbindungen kurzer Sätze und Satzgefüge mit einem kurzen Hauptund einem Nebensatz gemeint. Für solche Sätze, wie sie vor allem dem Sprachgebrauch von Kindern und einfachen Leuten entsprechen, ist die Beschränkung auf wesentliche Angaben, einfache Beziehungsdaten (Personen, Geschehen, Umstände) und ungewandte Fügungen zwischen den Einzelsätzen charakteristisch. Aufgrund dieser Eigenschaften werden sie in der mündlichen Rede, in schnell überschaubaren Mitteilungen (Boulevardzeitungen)10 und in volkstümlichen Textformen (Märchen, Fabeln, Kalendergeschichten, Sagen, Legenden, Volksliedern) bevorzugt, wo es auf eine schlichte, volksnahe und leichtverständliche Sprache ankommt.

Kurze Sätze sind deshalb auch kennzeichnend für die volkstümliche Spruchweisheit (Sprichwörter, Kalenderregeln, Wetterregeln u.ä.) sowie die ihr nachgebildeten Sentenzen und Epigramme. Hier ist überwiegend das Bemühen um bessere Einprägsamkeit stilbestimmend. Neben einfachen Sätzen werden dabei gern einfache Satzgefüge (mit Relativoder Konditionalsätzen und kurzen Reihungen) verwendet:

Eile mit Weile! - Ehe wäg’s, dann wag's!

Was ein Häkchen werden will, krümmt sich beizeiten!

Auch andere lehrhafte oder appellierende Texte, wie z.B. Angaben aus Lehrbüchern, Gebrauchsanweisungen, Werbetexten u.ä., bevorzugen kurze Sätze sowie übersichtliche Satzverbindungen und Satzgefüge, z.B.:

Die Antriebfmaschinen sind schutzisoliert (doppelt isoliert). Das bedeutet für Sie höchste Sicherheit ...

(Bedienungsanleitung)

In Werbetexten finden sich häufig erzählerische Passagen in Kurzsätzen, seit eine bestimmte Autofirma diese Form eingeführt hat:

Pst - er schläft.

Kurz vor der Einfahrt in die Autobahn sind ihm die Augen zugefallen. Seit bald zwei Stunden schläft er. Wir haben das Radio abgestellt. Wir haben das Fenster geschlossen. Wir unterhalten uns nur noch leise. Sein Bettchen ist die Polsterbank im VW 1500...11

In der kunstvollen Sprache der Dichtung wird die Satzlänge in unterschiedlicher Weise als Stilmittel genutzt. Da die Umgangsprache kurze Sätze liebt, dominieren sie auch in der Sprache der Dramatik, besonders wenn diese Verhältnisse des einfachen Volkes realistisch zu spiegeln sucht. Individuelle wie

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ständische Gegensätze können so, außer durch die Unterschiede im Wortschatz, auch in den Satzformen sichtbar gemacht werden.

In der Lyrik dominieren kurze Sätze wegen der besseren Verständlichkeit, Rhythmik und Musikalität. Häufig fallen hier im sogenannten Zeilenstil Satz (Hauptoder Nebensatz) und Zeile zusammen, besonders in Volksliedern oder

volkstümlichen Gedichten:

 

Es stehen die Stern am Himmel,

Da fahr ich still im Wagen,

Es scheint der Mond so hell,

Du bist so weit von mir.

Die Toten reiten schnell ...

Wohin er mich mag tragen,

 

Ich bleibe doch bei dir.

(Lenore, aus

(Eichendorff,

»Des Knaben Wunderhorn«)

»Der verliebte Reisende«)

Der Gefahr eines allzu abgehackten Zeilenstils begegnen zahlreiche Lyriker durch das Stilmittel des Zeilensprungs (Enjambement), der Weiterführung des Satzes über eine oder mehrere Zeilen, mitunter sogar über das Strophenende hinweg, wobei allerdings zuweilen die Form der kurzen Sätze aufgegeben wird:

Fragst du mich, woher die bange Liebe mir zu Herzen kam, -

Und warum ich ihr nicht lange Schon den bittern Stachel nahm?

(Mörike, »Frage und Antwort«)

Für die erzählende Dichtung lassen sich – bis auf die genannten volkstümlichen und didaktischen Textsorten – kaum allgemeinverbindliche Angaben zur Satzlänge machen. Satzbau und Satzumfang sind hier wichtige Ausdrucksformen der dichterischen Individualund Epochenstile. Während in der Erzählliteratur des 17. und frühen 18. Jhs. lange Sätze vorherrschen, gelten im späten 18. und im 19. Jh., z.T. auch im 20. Jh. (bis auf wenige Ausnahmen) Sätze mittlerer Länge als durchschnittlicher Umfang. Es gab jedoch mehrere Versuche, besonders um die Wende vom 19. zum 20. Jh., die Durchschnittsnorm der mittleren Satzlänge durch das Stilideal des kurzen einfachen Satzes (in unverbundener Reihung) zu überwinden. So finden sich betont kurze Sätze in naturalistischer wie impressionistischer Prosa und Lyrik, aber auch in expressionistischen Texten.

Schwer kam es jetzt die Treppe in die Höhe gestapft. Am Geländer hielt es sich. Manchmal polterte es wieder ein paar Stufen zurück. Es schnaufte und prustete. Eine tiefere heisere Baßstimme brummte. Jetzt, endlich kam es schwerfällig über den Flur. Ein dicker Körper war dumpf gegen eine Tür geschlagen ...

(A. Holz / J. Schlaf, »Ein Tod«)

Die naturalistischen Kurzsätze entsprechen der wirklichkeitskopierenden Technik des »Sekundenstils«, mit der A. Holz und J. Schlaf die Einzelheiten der Geschehnisse festzuhalten suchten.

Die impressionistischen Kurzsätze, die sich in der Lyrik (Liliencron,Dehmel u.a.) und Prosa dieser literarischen Richtung finden, sind mit ähnlichen Tendenzen in der zeitgenössischen Malerei verglichen worden, die auch der Skizze und der Andeutung bereits Kunstcharakter zusprachen.12 Besonders

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wirksam war die Anlehnung an die gesprochene Sprache in den »inneren Monologen« der Erzählungen Arthur Schnitzlers, die den Kurzsatz verlangten:

Wenn ich die in der Loge nur genau sehen könnt’! Ich möcht’ mir den Operngucker von dem Herrn neben mir ausleh’n, aber der frißt mich ja auf, wenn ich ihn in seiner Andacht stör’ ... In welcher Gegend die Schwester von Kopetzky steht? Ob ich sie erkennen möcht’?... (A, Schnitzler, »Leutnant Gustl«)

Eine Übersteigerung der »Kurzsätzigkeit«, die ebenfalls den Gepflogenheiten der mündlichen Rede folgt, ist die Abtrennung unselbständiger Satzglieder durch Punkte vom jeweiligen Hauptoder Gliedsatz:

Die Wolken rasten über mir hin. In schweren, graublauen Ballen unter einem gelben Dunst. Tief in schleifenden Fetzen...

(J. Schlaf, »In Dingsda. Im Wind«)

Die Punkte schaffen hier Pausen und verleihen so den Einzelgliedern größere Gewichtigkeit. In der Sprache der Werbung kehrt diese Abtrennung häufig wieder. Anderer Art sind die Kurzsätze bei einzelnen expressionistischen Autoren. Sie sollen ihr ekstatisches Gefühlserleben spiegeln, das in Einzelwörtern, Satzfetzen und Kurzsätzen gleichsam hervorbricht, wobei sich häufig die geläufige Wortstellung ändert; z.B.:

Ulan: Wo ist hier ein Weg? Der Sand hat mich verschlagen und mein Tier. Nacht bricht herein, eintönig, drohend, mit ungeheurer Weite. Verirrt. Nirgends etwas zu sehen. Himmel verhüllt und Erde eine stumpfe Wand, öde, vom Wind gestoßen. Legen wir uns hin. Auch du sollst ruhen, Tier.

(Reinhard Goering, »Kriegerische Feier«)13 Nach dem Zweiten Weltkrieg gelangte der Kurzsatz in den Dichtungen Wolfgang Borcherts zu neuer Geltung. In der Einsilbigkeit der Wörter und der Satzkürze sollte sich die Dissonanz der Weltverhältnisse unmittelbar spiegeln.14 Verbindende Konjunktionen, Gliedsätze, kausale und konditionale Erklärungen als Ausdruck einer beim Sprechen mitwirkenden Reflexion wurden daher gemieden. Fehlende Bezüge sollten durch parataktische Reihung, Wortund Satzwiederholungen und groteske Bilder suggeriert werden:

Er tappte durch die dunkle Vorstadt. Die Häuser standen abgebrochen gegen den Himmel. Der Mond fehlte, und das Pflaster war erschrocken über den späten Schritt. Dann fand er eine alte Planke.

(W. Borchert, »Die drei dunklen Könige«) Der verhältnismäßig kurze Satz ist am Ende des 19. Jhs. auch von einigen Germanisten als Stilideal vertreten und gepflegt worden. Sie wollten damit der oft unübersichtlichen Periodenbildung wissenschaftlicher Schriften entgegenwirken, wie sie besonders durch einige Philosophen des deutschen Idealismus in Mode gekommen waren. Gleichzeitig wollten sie beweisen, daß auch in kurzen Sätzen wissenschaftliche Informierung möglich war. Besonders Wilhelm Scherer ist hier (neben Hermann Grimm und Oskar Walzel) zu nennen.15 Seine weitverbreitete Literaturgeschichte bietet zahlreiche Beispiele für eine oft epigrammatische Satzkürze, wenn sie auch durch Anaphern, Steigerungen, Fragen, Antithesen u. a. rhetorisch aufgeputzt und aufgelockert erscheint:

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Sein Ideal ist die Unschuld. Schönheit definiert er Dämmerung. Mond und Nebelschleier, sanftes Licht und zarte Verhüllung scheinen ihm der höchste Reiz. Dem unwahr Heroischen und gewaltig Tugendhaften, das schon Wieland bekämpfte, zog er das Heitere und Naive vor.

(W. Scherer, »Geschichte d. deutschen Literatur«, 14. Aufl., S. 480)

Der Stilwert kurzer Sätze wird meistens erst im Kontrast zu anderen Satzquantitäten deutlich. Auch W. Scherer kennt den Wechsel zwischen kurzen Sätzen und langen Sätzen, durch den Einsichten nachdrücklich vertieft und gedankliche Spannung besonder hervorgehoben werden können. Zwei Beispiele bedeutender Stilisten mögen dies verdeutlichen:

»Niemand«, sagen die Verfasser der Bibliothek, »wird leugnen, daß die deutsche Schaubühne einen großen Teil ihrer ersten Verbesserung dem Herrn Professor Gottsched zu danken habe.« Ich bin dieser Niemand; ich leugne es geradezu.

(G. E. Lessing, »17. Literaturbrief«)

Durch die Geleise ging ein Vibrieren und Summen, ein rhythmisches Geklirr, ein dumpfes Getöse, das, lauter und lauter werdend, zuletzt den Hufschlägen eines heranbrausenden Reitergeschwaders nicht unähnlich war. Ein Keuchen und Brausen schwoll stoßweise fernher durch die Luft. Dann plötzlich zerriß die Stille. Ein rasendes Tosen und Toben erfüllt den Raum, die Geleise bogen sich, die Erde zitterte – ein starker Luftdruck – eine Wolke von Staub, Dampf und Qualm, und das schwarze, schnaubende Ungetüm war vorüber.

(G. Hauptmann, "Bahnwärter Thiel«)

In beiden Beispielen besitzen die kurzen Sätze (Ich bin dieser Niemand – Dann plötzlich zerriß die Stille) eine erhöhte Ausdruckskraft. Sie wirken wie unvermittelte Antithesen, die eine neue Situation heraufführen, von der im folgenden Text gesprochen wird.

Trotz derartiger Silwirkungen lassen sich keine allgemeingültigen Regeln über einen grundsätzlichen Wert kurzer Sätze aufstellen, wie dies in manchen Stillehrbüchern geschieht.16 Kurze Sätze allein steigern nicht den Eindruck von Hast und Bewegung, wie gelegentlich behauptet und in der Triviailiteratur oft exemplifiziert wird, längere Sätze allein bewirken noch nicht den Eindruck von Ruhe und Gelassenheit.17 Kurze Sätze unterstreichen vielmehr nur das inhaltlich Vorgegebene, also beispielsweise auch inhaltliche Erzählspannungen, durch die Überschaubarkeit des Gesagten und die Staupausen der Punkte. Längere Sätze häufen die Informationsdaten zwischen den Punkten und wirken so komplexer und reflektierter. Der Autor muß also im einzelnen entscheiden, welche Satzlänge er wählt.

Der Satz mittlerer Lange

Nach dem bereits Gesagten kommt heute dem Satz »mittlerer Länge«, der etwa 4-7 Satzglieder und etwa 10-25 Wörter umfaßt, die größere kommunikative Bedeutung zu.18 Stichproben ergaben, daß ein großer Teil der Pressekommentare und größeren Zeitungsberichte, der Geschäftsbriefe und Beschreibungen, der allgemeinverständlichen wissenschaftlichen Literatur wie

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