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Deutsche_Stilistik

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aber den Überblick über das Ganze und den Bau des Gedankensystems. Deshalb verzichtete der Königsberger Philosoph auf die ästhetische und die didaktische Ausschmückung seiner Darlegungen, und andere Philosophen sind ihm darin gefolgt, manchmal zum Nachteil für ihre Gedanken wie für den Sprachstil.

Die Darlegungen Kants verdeutlichen, daß bei der Frage nach dem Grad und Ausmaß der Klarheit sprachlicher Texte unbedingt der jeweilige Zweck des Textes, die jeweilige funktionale Stilbestimmung, zu berücksichtigen ist, die das Mehr oder Weniger an diskursiven oder intuitiven Stilmitteln der Deutlichkeit beeinflußt. Über derartige Festlegungen sind jedoch Einzeluntersuchungen erforderlich. Hier seien nur einige Stilregeln genannt, die zur größeren Klarheit der Testgestaltung beitragen können. Wir berücksichtigen dabei zunächst die stärker gedanklich bestimmten Texte, die wissenschaftlichen Arbeiten, Vorträge, Lehrbücher, Sachund Tätigkeitsberichte, Erörterungen, Gutachten, Beschreibungen u.ä., für die diskursive Gestaltungsweisen in Frage kommen.

Die Klarheit gedanklicher Texte erfordert eine Ordnung der Informationen. Ein zufälliges oder nur assoziatives Durcheinander der Gedanken oder berichteten Einzelheiten verhindert die textliche Einheit ebenso wie ein sinnvolles Verstehen durch den Leser oder Hörer. Der Grundsatz der Ordnung der Informationen entspricht bereits dem Prinzip der Folgerichtigkeit, geht aber darüber hinaus, indem er die Auflösung komplexer Vorstellungen in Einzelkomponenten genauso verlangt wie die logische Reihenfolge der Einzelheiten. Die sprachliche Reihenfolge soll dabei möglichst der Reihenfolge der zugrunde liegenden Gegebenheiten entsprechen, also bei einer gedanklichen Darstellung der Reihenfolge wie der Wertordnung der Gedanken, bei einem Bericht dem Ablauf des Geschehens, bei einer Beschreibung der Reihenfolge der Einzelheiten.

Weiterhin erfordert dieses Prinzip eine Entsprechung zwischen gedanklicher und sprachlicher Struktur. So verlangen parallele Gedanken auch einen parallelen Sprachbau. Informationen, die als gleichzeitig und gleichwenig empfunden werden und in der gleichen syntaktischen Struktur vermittelt werden können, eignen sich für eine parallele Reihung und sollten auch so dargeboten werden. Ein kleines Beispiel, das L. Reiners anführt22, möge dies verdeutlichen:

Es kann so weit kommen, daß manchem die Welt, von der ästhetischen Seite betrachtet, als ein Karikaturenkabinett, von der intellektuellen als ein Narrenhaus und von der moralischen als eine Gaunerherberge erscheint.

(Schopenhauer) Wo eine derartige Gliederung und Formung der Informationen nicht gegeben ist, sollte sie um der stilistischen Klarheit und Übersicht willen vorgenommen werden. Stehen zusammenhängende Informationen eines Sachgebietes jedoch im Verhältnis einer Steigerung zueinander, so sollte diese auch sprachlich zum Ausdruck kommen. Sie bevorzugt erweiterte einfache Sätze und kürzere Satzgefüge in progressiver Reihung, nicht längere verschachtelte Satzgefüge.

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Kurzsätze allein bieten aber noch keine Garantie für die Klarheit der Darstellung, besonders wenn sie die gemeinten Sachverhalte zu knapp und ohne folgerichtige Verbindung der Einzelgedanken darstellen.

Zur Symmetrie der Sätze, die die Klarheit des Gesagten fordert, gehört auch das Problem der Füllung der Sätze. Die didakdsche Stilistik kritisiert hierbei die Formen der Überfüllung (»Stopfstil«), der Überdehnung (»Bandwurmstil«) und der Verkürzung (»Asthmastil«)23. Als bevorzugter Satzumfang, der auch der Klarheit der Aussage am meisten förderlich ist, gilt ein Satz mittlerer Länge, der aus dem Satzkern und einigen Erweiterungen besteht. 24

Der größeren Klarheit eines Textes können auch die Stilmittel der Wiederholung und der Variation dienen, die wir an anderer Stelle ausführlicher erläutern (vgl. S. 53 ff.). Besonders in den Textstellen, die durch mehrfache Beziehungen auf bestimmte Begriffe unübersichtlich zu werden drohen, wenn diese in der Wiederholung nur durch Personalpronomina vertreten werden, kann die erneute Nennung der Kernwörter klärend wirken. Die Wiederholung übernimmt hier häufig die verstärkende Funktion, die ihr als Stilmittel eigen ist.

Die Variation einer gedanklichen Aussage stellt eine weitere Möglichkeit zur Verdeutlichung des Gemeinten dar. Manche gedankenreichen Texte bevorzugen die Variation bestimmter Grundgedanken, um über deren Inhalt keine Unklarheiten zurückzulassen und zugleich das Gesagte nachdrücklich hervorzuheben.

Das stilistische Erfordernis der Klarheit gilt nicht nur für die gedanklichen Konstruktionen und die Reihungen der Informationen, sondern auch für die Bedeutungsträger, also für den Wortschatz. Hier entspricht das »treffende Wort« - in wissenschaftlichen und technischen Texten das Fachwort, in beschreibenden und erzählenden Texten das Konkretum, am ehesten dieser Forderung (vgl. S. 201ff.). Mitunter (nicht nur bei Wiederholungen) ist es jedoch erforderlich, an Stelle eines bestimmten Begriffswortes dessen Umschreibung zu wählen, um das Gemeinte besser zu verdeutlichen. Zu allgemeine Begriffe, die nicht weiter erläutert werden, sind in der Gefahr, mißverständlich zu wirken. Eine ursprüngliche Nebenbedeutung tritt dabei oft als zweite gleichwertige Hauptbedeutung auf. Das Wort Liebe z.B. hat mehrere Bedeutungswandlungen erlebt, von der Kennzeichnung des Zustands der Freude bis zur Bedeutung der geistigen wie gefühlsmäßigen Zuneigung zu einem anderen und zur körperlichen Vereinigung. 25 Eine klare Differenzierung der Bedeutungen ist dann nur mit Hilfe von Umschreibungen oder entsprechenden Begriffen aus anderen Sprachen möglich (z.B. lat. dilectio, caritas, amor, sexus).

Die Mehrdeutigkeit oder semantlsche Unschärfe einiger Begriffswörter macht sie anfällig für Bedeutungswandlungen, aber auch für bewußte Umdeutungen, wie wir dies am Beispiel zahlreicher Begriffe des politischen und ethischen Wortschatzes erlebten und noch immer erleben; man denke nur an Wörter wie Blut, Volk, Führer, Kampf, Rasse, Gehorsam, Vaterland usw., die in der NS-Zeit in ihrer Bedeutung ideologisch eingeengt und festgelegt wurden, oder an die andersartige Auslegung von Wörtern wie Demokratie,

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Freiheit, Kapital, Unternehmer u.dgl. im Rahmen der kommunistischen Ideologie. Jedes ideologische System schafft sich auf diese Weise ein eigenes Vokabular von Leitwörtern, deren jeweilige aktuale Bedeutung oft nur aus dem gesamten ideologischen Denkschema verständlich wird.

Durch diesen Verweischarakter werden solche Wörter auch stilistisch wichtig, signalisieren sie doch sogleich die zugrunde liegende Stilschischt und Stilfärbung, mitunter auch die Ausdrucksabsicht des Textes. Oft genügen einige solcher Kernbegriffe, um eine Zuordnung des Sprechers oder des Textes zu ermöglichen.26 ;''Manebmal ist es notwendig, der Verwendung so Icher Wörter entsprechende Erläuterungen beizufügen oder diese Wörter zu meiden und den gemeinten Sinn zu umschreiben, will man nicht Mißverständnissen ausgesetzt sein.Wir erwähnen dies im Zusammenhang der Klarheit des Wortschatzes, weil diese durch den ideologischen Sprachgebrauch besonders gefährdet werden kann, und zwar gerade dann, wenn durch derlei Umdeutungen eine neue (ideologisch bestimmte) Eindeutigkeit erstrebt wird.

Zuweilen wird auch die Unklarheit der Wörter stilistisch ausgenutzt. Beispiele dafür bieten schon manche antiken Orakelsprüche und ihre falschen Deutungen. Goethe verwendet eine solche Zweideutigkeit (Ambipholie, Ambiguitas) in seinem Drama »Iphigenie auf Tauris«, wo Orest erst nach einigen Mißverständnissen erkennt, daß mit »der Schwester« nicht das Bild der Göttin Diana, sondern die eigene Schwester Iphigenie gemeint war. Ähnliche Mißverständnisse ergeben sich leicht bei homonymen (lautgleichen, aber bedeutungsverschiedenen) Wörtern, z.B. Schloß (als Bauwerk) und Schloß (der Tür) oder Feder (des Vogels, des Schreibgeräts, der Matratze, des Wagens usw.), soweit der Kontext hier keine Eindeutigkeit gewährleistet. Mitunter beruhen sprachliche Unklarheiten auf grammatisch oder semantisch falscher Bezugnahme, z.B.: Er verurteilte die Ausbeutung und tat dasselbe.27

Anschaulichkeit

Die intuitive oder ästhetische Deutlichkeit (Klarheit) wirkt nach den Worten Kants durch »Anschauungen, d.i. Beispiele oder andere Erläuterungen«. Sie verlangt also etwas, das über die bloß gedankliche Folgerichtigkeit und Deutlichkeit hinausgeht, nämlich Anschaulichkeit. Damit kommen wir zu einem weiteren Prinzip der Textgestaltung, das noch tiefer in den stilistischen Bereich hineinführt.

Wo es darauf ankommt, andere Menschen durch Vorstellungen zu einer bestimmten Handlungsweise zu bewegen, wie etwa in der Werbung, oder ihnen bestimmte Sachverhalte oder Vorgänge zu verdeutlichen, wie in Vorträgen, Beschreibungen oder Erzählungen, nehmen wir sprachliche Bilder zu Hilfe, suchen wir »anschaulich« darzustellen. Hier zeigt sich nämlich, daß manche Mitteilungen erst dann von den Hörern oder Lesern »begriffen« werden, wenn sie sich mit Bildvorstellungen verbinden, die durch Erleben und Erfahrung vertraut sind und nun durch bestimmte sprachliche Signale geweckt

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werden und so helfen, die übermittelte Information zu erhellen.

Größere Anschaulichkeit im Sprachstil kann mit verschiedenen Mitteln erreicht werden. Am ehesten läßt sie sich in erzählerischen Texten verwirklichen, die reale oder fiktive Geschehnisse sprachlich darstellen. Dabei ist die Vergegenwärtigung des Sichtbaren von allen bedeutenden Erzählern besonders gepflegt worden. Die Bilder der schöpferischen oder nachschaffenden Phantasie eines Erzählers,entzünden auch die Phantasie des Lesers oder Hörers, der sich um so stärker in ein erzähltes Geschehen einfühlen kann, je mehr er an Einzelheiten der Darstellung in sinnvoller Ordnung aufnimmt. Der Erfolg der Werke des »poetischen Realismus« und seiner Nachahmungen auch in unserer Zeit hängt zum großen Teil von der gesteigerten Anschaulichkeit dieser Werke ab. Wenn in späteren Dichtungen der schildernde Erzähler zurücktritt und der Autor den Lesern vielmehr an den Bewußtseinsvorgängen der Hauptpersonen teilhaben läßt, so braucht die Anschaulichkeit nicht aufgegeben zu werden, sie erfährt allerdings meistens graduelle Abschwächungen.

Die Darstellungsweise eines Autors28 bestimmt nicht allein die Wirkung seines Textes. Die Fähigkeit, Einzelheiten deutlich einem Publikum nahezubringen, spielt dabei eine nicht unbedeutende Rolle. Hier kann es leicht des Guten zu viel oder zu wenig geben. Aus dem Streben nach möglichst großer Anschaulichkeit kommt es mitunter zur Häufung von Einzelheiten der Beschreibung an Stellen, die weniger wichtig sind. Ein Text aus einer naturalistischen Erzählung soll dies verdeutlichen:29

Draußen auf der sogenannten Bauernvorstadt, zwischen den letzten verkrumpelten Häuserchen, die zu beiden Seiten der Chaussee mit ihren alten gelben, geflickten Strohdächern bis unten in die vielen kreisrunden Pfützen tauchten, in denen Holzscheite, Papierkähne, Enten, Strohwische schwammen, hatten die Jahrmarktsleute ihre Barackenlager aufgeschlagen.

(A. Holz/Joh. Schlaf, »Der erste Schultag«) Für den Erzählund Handlungsvorgang erweisen sich die Angaben in den beiden Relativsätzen nach »Häuserchen« als belanglos und überflüssig, ihre Beiwortund Detailhäufungen, die auch im weiteren Text dominieren, sollen lediglich die Milieuschilderung verdichten, lenken jedoch von den wesentlichen Angaben ab. Es kommt in den Beschreibungen erzählender Dichtungen vielmehr auf die Vergegenwärtigung weniger wichtiger Einzelheiten an. Wenn Kleist im »Michael Kohlhaas« z.B. schreibt:

Der Burgvogt, indem er sich noch eine Weste über seinen weitläufigen Leib zuknüpfte, kam und fragte, schief gegen die Witterung gestellt, nach dem Paßschein.

so vermittelt er Anschauung und Spannung zugleich, ohne sich in Einzelheiten zu verlieren. Das Beispiel weist auch auf die besondere Wirksamkeit von Beschreibungen hin, die in die Handlungsschilderung einbezogen werden. Bereits Lessing hatte im »Laokoon« diesen Umstand am Beispiel von Homers Erzählung über den Schild des Achill erläutert, der dort nicht beschrieben, sondern in seiner Entstehung vorgeführt wird.

Der Anteil anschaulicher Schilderungen in der Dichtung wird nicht nur 46

durch die individuelle Fähigkeit und Darstellungsabsicht des Autors, sondern auch von den poetologischen Anschauungen in den einzelnen Zeiten bestimmt, wie dies die Texte des »poetischen Realismus« bestätigen. Man wird deshalb kein absolutes, zeitlos gültiges Maß an die Anschaulichkeit der Darstellungsweise der einzelnen Autoren legen können. Doch selbst neuere Dichtungen kommen nicht ohne Vergegenwärtigungen einer fiktiven Wirklichkeit und damit nicht ohne anschaulichen Angaben aus.

Auch in Texten der Warenwerbung bildet die anschauliche Einbeziehung bestimmter Gegenstände eine wichtige Konstituente der Textgestaltung. Allerdings wird diese Funktion hier häufig von Bildern übernommen, die das Produkt in günstigsten optischen Verhältnissen zeigen und damit dessen Schilderung überflüssig machen. Sprachliche Beschreibungen der Gegenstände finden sich daher oft nur noch in bildlosen Textanzeigen, soweit sie – zumeist in der Einleitung

– die angepriesene Ware überhaupt sprachlich näher kennzeichnen. Die sprachliche Anschaulichkeit wird dagegen häufig dann genutzt, wenn es gilt, in situativen oder spannenden (fragenden) Texteileitungen bestimmte Wunschvorstellungen zu wecken, die dann mit der jeweiligen Ware kombiniert werden:

Erinnern Sie sich, wie der Wind schmeckt, wenn er morgens bei Pratica di Mare die Wildentenschwärme über den Himmel treibt? Wenn er den Harzgeruch der Pinien mitbringt und den Rauch der Holfzfeuer? Da haben Sie ungefähr den Geschmack von Stock-Brandy30 (Weinbrand-Werbung)

Es gibt für fast alle Textsorten bestimmte Grundregeln zur Steigerung der sprachlichen Anschaulichkeit.31 Eine erste Regel lautet: Das Besondere ist anschaulicher als das Allgemeine. Wo es also Situation und Darstellungszweck erlauben, wird ein Autor, will er anschaulich bleiben, Einzelbeispiele statt Allgemeinbegriffe wählen, die Einzahl anstelle der Mehrzahl setzen und nur die Abstraktionen verwenden, die unbedingt erforderlich sind. Begriffe wirken anschaulicher, wenn sie in Einzelvorstellungen oder Personenhinweise aufgelöst werden (z.B. die Bevölkerung → Männer und Frauen), Personenkennzeichnungen, wenn der Eigenname erscheint. Andere Regeln beziehen sich auf die Wortwahl. Hier gilt die verbale Darstellung noch immer als anschaulicher und lebendiger als die Umschreibung oder Abstraktion mit Substantivierungen (z. B. ihre Leistung → was sie leisten), sind präzise Verben farblosen vorzuziehen (z. B. sich versammeln ←Versammlung durchführen), erscheint das Aktiv treffender als das Passiv.

Die Beschränkung auf den Singular ist meistens wirkungsvoller als die Verallgemeinerung im Plural:

Die Situation der heutigen Menschen: die Situation des heutigen Menschen. Synonyme heimischer Wörter sind entsprechenden Fremdwörtern vorzuziehen, sofern das Lexem des heimischen Wortes Hinweise auf den Wortsinn bietet (zum »Fremdwort« vgl. aber auch S. 249ff.):

Die Urbanisierung der Dorfbevölkerung schreitet fort: Die Verstädterung der bisherigen Dorfbevölkerung schreitet fort.

Auch die Nennung und Verneinung des Gegenteils und die Gegenüber-

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stellung von antonymen (gegensätzlichen) Begriffen dient der größeren Lebendigkeit.

Schließlich ist noch auf die Einführung von sprachlichen Bildern und Vergleichen hinzuweisen, die vor allem dann sinnvoll sind, wenn eine Aussage über einen Vorgang oder ein Geschehen zu abstrakt wirkt und die charakteristische Beschaffenheit des Gemeinten verdeutlicht werden soll. Die zuletztgenannten Stilmittel (Fremdwortsubstitution, antonyme Begriffe, Bilder und Vergleiche) sind nicht auf Beschreibungen und Erzählvorgange beschränkt, sondern eignen sich auch für theoretische und wissenschaftliche Texte, die dadurch verständlicher und lebendiger wirken.

Bei der Wahl des treffenden und anschaulichen Wortes kommt es aber nicht nur auf das Aufsuchen des Besonderen an; auch die Sicht der Dinge und Ereignisse ist wichtig. Hier ist vor allem der Unterschied zwischen statischer und dynamischer Darstellung zu beachten, der von den verwendeter finiter Verben abhängig ist. Wo es ohne Übertreibung und ohne Sinnverfälschung im Text angeht, sollten Verben des Seins durch solche der Bewegung ersetzt werden (u.U. bei gleichzeitiger Personifizierung der Dinge). Dies gilt insbesondere für beschreibende Texte, die sonst leicht ermüdend wirken (vgl. z.B. Die Fenster sind nach Süden gerichtet: Die Fenster blicken nach Süden). Schon Lessing hat eine ähnliche Forderung in seinem Laokoon-Aufsatz erhoben, indem er das Nebeneinander der Malerei, das Nacheinander der Dichtung zuwies. Die Differenzierungsmöglichkeiten im Bereich der Vorgangsverben sind wesentlich reicher als bei den Zustandsverben. Man denke nur an die kontextualen Synonyme für gehen oder sagen, die die allgemeinen Wortbedeutungen weiter einengen.

Besonderen Nachdruck legen die meisten Stilisten auf die Forderung, die verbale Aussage (Prädikatsgruppe) möglichst nicht allein durch semantische schwache Hilfsverben wie sein und haben auszufüllen, vielmehr nach treffenderen kontextualen Synonymen32 zu suchen. Die Korrekturen in den Handschriften und Entwürfen mancher Dichter zeugen von derartigen Ausdrucksverbesserungen. Interessant sind in dieser Hinsicht Vergleiche zwischen Goethes »Wilhelm Meisters Lehrjahre« und ihrer Vorstufe, dem »Ur-Meister«, der als »Wilhelm Meisters theatralische Sendung« veröffentlicht wurde, z.B.:

»Ur-Meister«

»Lehrjahre«

Er hatte nichts bei sich, um das

Er fand nichts bei sich, um das

Verlangen des Kindes zu stillen.

Verlangen des Kindes zu stillen.

Er war bei diesem Anblicke nun

Er fühlte sich bei diesem Anblicke

wieder verjüngt.

wieder verjüngt. 33

Die Forderung nach Differenzierung und Dynamisierung des verbalen Ausdrucks gilt in erster Linie für erzählende (z.T. auch berichtende und beschreibende) Texte. In anderen Textsorten, besonders solchen mit konstatierendem oder heischendem Charakter (Geschäftsbriefe, juristische und behördliche Texte, Beschreibungen, wissenschaftliche Untersuchungen, Anweisungen u.ä.) ist sie nicht immer erfüllbar; doch sollte auch hier eine

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differenzierende Ausdrucksvariation angestrebt werden.

Neben den Eigenbezeichnungen der Dinge und den Verben tragen die Adjektive (einschließlich attributiv und adverbial verwendete Partizipien) in besonderem Maße zur Erhöhung der Anschaulichkeit bei. Häufig gehen von ihnen die entscheidenden Vorstellungsdifferenzierungen aus. Vor allem Gegenstände oder Vorgänge aus dem Bereich des sinnlich Wahrnehmbaren (Sichtbaren, Hörbaren, Fühlbaren) wirken anschaulicher, wenn ihnen vorstellungsdifferenzierende Adjektive bzw. Adverbien beigefügt sind. Man vergleiche etwa folgende Sätze:

Ein alter Baum ragte in den

Ein knorriger alter Baum ragte

grauen Novemberhimmel.

mit seinen weitgespannten Ästen

 

in den milchig-grauen November-

 

himmel.

Während der erste Satz durch ragen und grau nur vage Vorstellungen zu wecken vermag, erwächst im zweiten Satz durch knorrig, weitgespannte Äste und milchiggrau ein wesentlich anschaulicheres Bild. Das Beispiel zeigt, daß Adjektive häufig erst im Zusammenhang mit vorstellungskräftigen Verben recht wirken. Dabei können auch Adverbien zur Vorstellungsdifferenzierung, insbesondere zur modalen Schattierung, beitragen. Um dieses zu verdeutlichen, stellen wir wiederum einige Beispiele aus Goethes »Ur-Meister« und den »Lehrjahren« gegenüber. Sie zeigen, daß selbst ein so großartiger Stilist wie Goethe seinen Ausdruck zu verbessern suchte, um die Bildkraft seiner Aussagen zu steigern:

»Ur-Meister«

»Lehrjahre«

Und sie ging, nachdem sie ihm

Sie ging, nachdem sie ihm einen

einen Blick zugeworfen, in das

leichtfertigen Blick zugeworfen,

Haus.

in das Haus.

Und nach einer Pause rief sie

Und nach einer kurzen Pause

rief sie aus:

rief sie heftig aus:

Es kamen Bediente mit Lichtern

Eilig kamen Bediente mit Lich-

auf die Treppe gesprungen.

tern auf die Treppe des Haupt-

 

gebäudes gesprungen: 34

Wie unter den Verben, so gibt es auch unter den charakterisierenden Adjektiven solche mit stark differenzierender und solche mit gering differenzierender Wirkung. Die Anschaulichkeit, zu der wir hier auch die quälitative Differenzierung von Angaben (die geistige Anschaulichkeit) zählen möchten, kann durch zu allgemeine adjektivische Angaben geschwächt werden. Zu den schwach differenzierenden Adjektiven müssen zu allgemein wertende Wörter wie schön, gut, schlecht, böse, groß, klein, ganz usw. gezählt werden, soweit sie nicht durch den vorangehenden oder folgenden Kontext näher bestimmt sind. Das Adjektiv schön kann z.B. etwas Angenehmes (schönes Wetter), etwas Harmonisches (schöner Klang), etwas Ideales (schöne Seele), etwas Wohlgefälliges (schönes Mädchen) oder etwas Charakteristisches (schöne Burg) meinen; ein großes Haus kann hoch, wuchtig, geräumig, verwinkelt,

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mehrstöckig, langgestreckt, breit u.a.m. sein. 35 Eine anschauliche Beschreibung muß also nach dem »treffenden« Wort suchen (vgl. S. 201 ff.).

Die Anschaulichkeit adjektivisch charakterisierter oder verbaler Angaben kann durch adverbiale Zusätze erhöht, aber auch beeinträchtigt werden. Die Kennzeichnung ein sehr weites Gewand ist beispielsweise unbestimmter als ein zu weites Gewand, weil die zweite Angabe auf die passende Größe des Gewandes (Kleides o.ä.) bezogen bleibt, die erste Angabe dagegen nur wage Vorstellungen weckt.

Eine Reihe von Adverbien sind bei den Stillehren als Flickwörter verpönt. Dazu gehören Wörter wie ganz, voll und ganz, ganz und gar, voll, fast, noch, aber, übrigens, überhaupt, selbstverständlich, zweifellos, doch, jetzt, nun, gänzlich36, die sich häufig zur Satzfüllung und Abrundung, Verstärkung oder Abschwächung von Aussagen einfinden, in vielen Fällen aber entbehrlich sind. Der Satz gewinnt meistens an Klarheit, wenn man diese Wörter wegläßt. Goethe bietet im »Wilhelm Meister« mehrere Beispiele solcher Streichungen:

»Ur-Meister«

»Lehrjahre«

Alle erduldeten Schmerzen wa-

Alle erduldeten Schmerzen wa-

ren ganz ans seiner Seele weg-

ren am seiner Seele weggewa-

gewaschen.

schen. 37

Wie so häufig bei Flickwörtern, ist auch hier das Wort ganz redundant (überflüssig), da sein Sinn bereits durch die Wörter alle und weg- ausgedrückt wird. In anderen Fällen, in denen durch solche »Modalwörter« eine Modifizierung der Aussage erstrebt wird, ist zu prüfen, ob hier für eine zusätzliche Kennzeichnung notwendig ist.

Die Erweiterung eines Satzes durch Wörter dient demnach nicht immer der Erhöhung der Anschaulichkeit.

Unsere bisherigen Darlegungen zur Anschaulichkeit im Bereich der Wortwahl könnten den Eindruck erwecken, als sei diese nur durch verhältnismäßig konkrete Wortangaben zu erreichen. Wir haben jedoch schon auf Möglichkeiten der Veranschaulichung auch in theoretischen Texten hingewiesen. Diese Möglichkeiten sind indes nicht nur an die Mittel des bildlichen Ausdrucks gebunden, sondern können in begrenztem Maße durch richtige Wortwahl verwirklicht werden. Zwar sind abstrakte oder verallgemeinernde Begriffswörter nicht ohne weiteres in Konkreta umzuwandeln, doch kann ihr abstrakter Sinn in einer Reihe von Fällen abgeschwächt und durch einen konkreten Vorstellungsgehalt ersetzt werden.

Eine erste Möglichkeit zu einer »Konkretisierung« kann in der Umformung abstrakter Begriffsinhalte in entsprechende Gliedsätze gesehen werden (vgl. S. 144f.), weil eine verbal gebundene Satzaussage meistens anschaulicher wirkt als ein sinngleiches (Verbal-)Substantiv, z.B.:

Bei Fortdauer des Preisanstiegs...: Steigen die Preise weiterhin an, so...

In manchen Fällen wirkt eine Wortzusammensetzung anschaulicher als die entsprechende Simplexform mit Genitiv-Attribut, in anderen Fällen ist es umgekehrt:

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die Preissteigerung – die Steigerung der Preise; die Fernsehgebührenerhöhung

– die Erhöhung der Fernsehgebühren.

In theoretischen Texten gilt das Prinzip der Ausdrucksvariation nur in eingeschränktem Maße. Substantive brauchen daher weniger häufig durch Pronomina ersetzt zu werden. Auch dies trägt zur größeren Anschaulichkeit bei.

Als Richtmaß für den Stil stärker abstrahierender Darstellungen haben sachliche Angemessenheit und sprachliche Verständlichkeit zu gelten. Die veränderte Blickweise der wissenschaftlichen Darlegung verlangt größtmögliche Exaktheit im einzelnen, aber auch zusammenfassende Abstraktion im Ganzen. Kollektivbegriffe und Abstrakta sind dabei unvermeidlich.38 Die Bemühungen um einen gegenstandsadäquaten sprachlichen Ausdruck führen mitunter zur Verwendung bestimmter »Metasprachen« (neben den Formelsprachen) in Physik und Linguistik, um auf diese Weise das Eindringen traditioneller nichtwissenschaftlicher Wortbedeutungen der »Umgangssprache« auszuschließen. Nicht selten spielt dabei auch die (gelegentlich übertriebene) Angleichung an die Ausdrucksweise, z.T. sogar an den Wortschatz, der internationalen Fachwelt (besonders in den angelsächsichen Ländern) eine Rolle.

Damit kommt die größere oder geringere Rüchsichtnahme der Autoren wissenschaftlicher oder anderer theoretischer Texte auf ihr Publikum ins Spiel. Insbesondere bei wissenschaftlichen Arbeiten zeigt es sich, daß sie meistens nur für einen verhältnismäßig engen Kreis von Fachkollegen verfaßt sind, zu denen, urteilt man nach dem Stil mancher Fachbücher, oft nicht einmal die Studenten des Faches gezählt werden. Nur ein kleinerer Teil der Fachliteratur scheint für einen weiteren Kreis der an diesen Themen interessierten Leser geschrieben zu sein. Eine derartige Differenzierung in der Darstellung und der Zwang zu stärkerer Konzentration und Abstraktion erweisen sich beim heutigen Stand der meisten Wissenschaften oft als notwendig. Keine Wissenschaft oder Technik kann heute auf eine bestimmte Fachterminologie verzichten, die eine eideutigere Kennzeichnung der Gegenstände und methodischen Verfahren und eine stärkere Generalisierung der wissenschaftlichen Erkenntnisse ermöglicht. Die Analyse und Beschreibung der sprachstilistischen Auswirkungen dieser Phänomene gehört in den Aufgabenbereich einer funktionalen Stilistik. 39

Die Verwendung von Fachbegriffen kann allerdings auch zurn rhetorischen Schmuck bestimmter Auffassungen werden, die ohne Fremdworthäufungen leichter verständlich und daher von größerer Wirkung wären. Besonders fortgeschrittene Studenten und jüngere Wissenschaftler neigen zu übertriebener gedanklichbegrifflicher Abstraktion und übersehen leicht, daß gedankliche Exaktheit und sprachliche Verständlichkeit durchaus vereinbar sind, ja oft einander bedingen. Sätze, wie die beiden folgenden, die aus einem studentischen Diskussionspapier stammen, also für den Vortrag bestimmt waren, bringen sich durch die Häufung von philosophisch-soziologischen Fachbegriffen auf engstem Raum auch innerhalb der Fachwelt um den Vorzug der Klarheit und Verständlichkeit:

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Die an ökonomischen Prozessen partizipierenden Konsumenten, befangen in der Politstruktur einer metaphysisch sanktionierten sozialen Matrix, vermögen die Scheinidentifikation existentialer Gebundenheit als existentielles Selbstverstehen kaum aufzuheben. Die neutrale symbolische Interaktion isoliert verstandener Subjekte identifiziert die bewußtseinskonstituierende Kompetenz mit dem eigenen Selbstverständnis; wechselseitig determinierende methodologische Theoreme linguistischer Theorie präjudizierendie heuristische Metaebene objektivistischen Selbstverständnisses.

Außerhalb des engeren Fachkollegenkreises werden derartige Texte manchmal zu Recht als »Soziologenkauderwelsch«, »Linksintellektuellenjargon« usw. abwertend charakterisiert. Die fachsprachliche Enkodierung wird hier zur Aussagenverschleierung, die die inhaltliche Wirksamkeit der bestehenden Auffassungen verhindert. Nicht selten wird eine derart unanschauliche Stilform gewählt, um bestimmten gesellschaftspolitischen Forderungen den Schein einer wissenschaftlichen Begründung zu verleihen. Argumentation und solidarisierende Kommunikation geraten dabei in grotesken Widerspruch, wenn z.B. linksradikale Studenten Arbeiter durch die auf ein Wort von Karl Marx zurückgehende Losung

Fordert die Expropriation der Expropriateure zu beeinflussen suchen und nicht auf die verständlichere Übersetzung Enteignet die Kapitalisten verfallen.

Manchmal scheint also hinter derartigen sprachlichen »Verfremdungen« der gleiche Beweggrund zu stehen, der auch die Werbung zu Fremdwörtern und gelehrten Bildungen greifen läßt, um durch die Verwendung fremdsprachlicher (besonders lateinischer, griechischer und englischer) Sprachelemente der gemeinten Sprache einen wissenschaftlichen Anstrich und damit eine größere Werbewirkung zu verleihen. Die gleichsam »magische« Wortwirkung muß sich hierbei sogar mit einer gewissen Unverständlichkeit oder semantischen Dunkelheit paaren, soll die Werbewirkung nicht verlorengehen.

Als Mittel zur besseren »Veranschaulichung« theoretischer und wissenschaftlicher Texte kommen vor allem sprachliche Bilder und Vergleiche, seltener Personifizierungen und Metaphorisierungen in Betracht. Die bildliche Darstellung gelingt am ehesten in historischen Monographien und geographischen oder zoologischen Beschreibungen, weil hier sprachliche Formen des unmittelbaren Erlebens noch angemessen sind.

Wohl aber suchte nun Bismarck... den Wind des deutschen Einheitsstrebens in seine Segel zu fangen.40

Aber auch außerhalb der genannten Themenbereiche bieten sich Möglichkeiten zu bildhafter Kennzeichnung von wissenschaftlichen Feststellungen, besonders durch die Vermeidung abgenutzter Vorgangsund Zustandsverben wie sein, gehören, werden, feststellen, behaupten u.dgl.

Die Masse der Teichnerreden ist also angesiedelt in dem schmalen Raum der Reflexion über eigene Erfahrungen und der religiösen und ethischen Reflexion sowie der standesoder lasterbezogenen Rügedichtung. Unerwartet glatt geht diese Unterbringung vor sich...41

Um Nuancen nur verlagert Stapel die Gewichte, aber er verzeichnet damit das ganze Bild.42

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