Добавил:
Upload Опубликованный материал нарушает ваши авторские права? Сообщите нам.
Вуз: Предмет: Файл:

Deutsche_Stilistik

.pdf
Скачиваний:
268
Добавлен:
11.02.2015
Размер:
2.01 Mб
Скачать

sogenannten sieben freien Künste, in denen das weltliche Wissen vermittelt wurde. Die drei antiken Stilarten oder genera dicendi, die sich nach dem Anteil der in den Reden angewandten Figuren und Tropen, dem ornatus (Schmuck), den Stilqualitätem (z.B. perspicuitas = gedankliche und sprachliche Klarheit) und der Beziehung zwischen Stil, Sache und Publikum aufgliederten in einen einfachen Stil (sermo humilis, subtilis) mit geringem Figurenschmuck, einen mittleren Stil (genus mediocre) mit nur leicht verfremdendem Figurenschmuck und einen hohen Stil (genus sublime) mit reichem Figurenund Tropenschmuck, wurden in den mittelalterlichen Rhetoriklehrbüchern zumeist auf zwei reduziert, die oft nach dem rhetorischen Schmuck als ornatus facilis (leichter Schmuck) und ornatus difficilis (schwerer Schmuck) bezeichnet werden.

Ais »Stil« wurde demnach in der antiken und mittelalterlichen Rhetorik, die über den Rhetorikund Lateinunterricht bis in unsrer Zeit nachwirkte, die durch eine bestimmte Art des rhetorischen Schmucks ausgezeichnete und darin von der gewöhnlichen »Umgangssprache« unterschiedene Form der Sprachverwendung angesehen, die aus einer gewissen Technik des Gebrauchs von Stilmitteln zu bestimmten Redezwecken hervorgegangen war. Da die Rhetorik allmählich immer mehr in der Poetik aufging, kam es dazu, daß schließlich nur noch poetischen Texten Stilcharakter zugesprochen wurde.

Drei Aspekte dieses rhetorischen Stilbegriffs sind außerhalb der Rhetorik in neueren Stilauffassungen aufgegriffen worden und werden, unterschiedlich stark akzentuiert, darin besonders hervorgehoben: 1. die Auffassung vom Stil als dem Ergebnis einer bewußten Sprachgestaltung, 2. die Auffassung von der Existenz bestimmter Stilmittel, die gegenüber der gewöhnlichen Redeweise verfremdend wirken, und 3. die Ausrichtung des Stils nach bestimmten Redezwecken. Wir werden diesen Aspekten noch wiederholt begegnen.

Stil als individuelle Eigenart des Sprachausdrucks

Die Vorstellung vom Sprachstil kann sich auf einen vorhandenen Text als solchen wie auf die sprachliche Ausdrucksweise des jeweiligen Verfassers beziehen. Während innerhalb der Rhetorik die Auffassung dominierte, daß der sprachliche Stil etwas bewußt Gestaltetes und somit nachahmbar und lehrbar sei, setzte sich in neuerer Zeit, genauer: seit Herder und Goethe, die Auffassung durch, daß der sprachliche Stil ein individueller Ausdruck des Sprechers und demzufolge weder nachahmbar noch lehrbar sei. Diese Stilauffassung ist im größerem Zusammenhang der aufkommenden, zumeist bürgerlichen Gefühlskultur des 18. Jhs. zu sehen, für die die Sprache nicht irgendein kommunikatives Instrument schlechthin war, sondern als Medium des unmittelbaren Gedankenund Gefühlsausdrucks angesehen wurde. Der Sprachauffassung entsprachen Poesieund Stilauffassung dieser Zeit. Die Genialität eines

14

Autors erschien nun nicht mehr als das Ergebnis eines Lernprozesses, sondern als Ausdruck der inneren Natur, der dichterischen Veranlagung; der Stil der Dichtungen, Briefe, Reden war Zeugnis der individuellen Eigenart. Als Beleg dieser Stilauffassung wird oft das Zitat angeführt, das George Louis Leclerc Buffon (1707-1788) zugeschrieben wird: »Le style, c'est l'homme même« (»Der Stil, das ist der Mensch selbst«).3 Zwar hat Goethe später (1788) die Geltung einer solchen Auffassung in seinem Aufsatz über »Einfache Nachahmung der Natur, Manier, Stil« scheinbar modifiziert4, indem er nur dem höchsten Grad dichterischer Darstellung den Charakter des Stils zuerkannte, doch wurde auch damit nur der originäre Charakter des Stils als einer unmittelbaren, unnachahmlichen Äußerung unterstrichen.

Diese Auffassung vom Individualoder Personalstil wurde zur Grundlage einer weitgespannten literaturwissenschaftlichen Stilforschung, die die stilistischen Eigenarten der verschiedenen Dichter herauszustellen sucht. Da jeder Dichter, will er nicht als epigonal oder profillos gelten, um einen eigenen Stil bemüht ist und sich die dichterischen Stile besonders gut voneinander abheben, findet eine solche personale Stilauffassung in der Dichtung ihre stärkste Bestätigung. Für die Entwicklung des Individualstils kann die Nachahmung fremder Stilmuster ebenso motivierend wirken wie das bewußte Bemühen um eine eigene Ausdrucksweise. Mitunter bestehen sogar gewisse Übereinstimmungen zwischen den kunstoder sprachtheoretischen Anschauungen eines Autors und seinem Sprachstil. So wissen wir z. B. aus Kleists Aufsatz »Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden«, daß dieser den Vorgang der menschlichen Rede gleichsam als einen explosiven Entladungsvorgang begriff und dementsprechend auch selbst in seiner Prosa einen dynamischen, weitausgreifenden Satzbau bevorzugte, der oft wie in einer Entladung mit dem Hauptsatz beginnt und mehrere Gliedsätze einschiebt, um erst dann zum Abschluß zu kommen. Ebenso wissen wir von Thomas Mann, daß er sich – besonders in seinen späteren Romanen – gern eines additiv anfügenden Satzbaus bediente, um zunächst gemachte Aussagen zu korrigieren, zu ergänzen oder in ihrer Verbindlichkeit in Frage zu stellen und so das von ihm bevorzugte Kunstprinzip des ironischen Erzählens zu verwirklichen.

Stil als Spiegelung psychischen Erlebens

Die personale Stilauffassung des späten 18. Jhs. wurde besonders in der neuidealistischen Philologie zu Beginn des 20. Jhs aufgegriffen und in den psychologischen Richtungen der Stilistik verschieden modifiziert. Ausgangspunkt war dabei meistens die Frage nach dem Wesen der dichterischen Sprache im Gegensatz zur allgemeinen, nichtdichterischen Sprache, ein Problem, das bis in unsere Gegenwart noch keine klare Lösung gefunden hat.

Von den Vertretern der psychologischen Stilistik wurde das Wesen des

15

dichterischen Stils zumeist in der sprachlichen Aktualisierung, d.h. in der Benutzung von Wörtern u.ä. als Hervorhebung von seelischen Werten gesehen, die ihrerseits beim Leser oder Hörer bestimmte emotionale, gemüthafte Wirkungen zeitigen sollten.5 Noch in einem neueren stilistischen Werk werden als Gegenstand der Stilistik »die Gemütskräfte der Sprache« bestimmt6, die durch die sprachliche Gestalt aktiviert werden. Bei anderen Autoren, die der Richtung der »werkimmanenten Interpretation« nahestehen, rückt der erlebnishafte Grund der Sprachäußerungen, der in der Sprache eines Autors zum Ausdruck kommt, in den Mittelpunkt. Die stilistische Einheit und Wirksamkeit eines Textes wird hier auf die Einheitlichkeit der Perzeption des Vorgangs der sinnlichen Wahrnehmung, der sich im Kunstwerk ausdrückt, zurückgeführt.

Allen psychologischen Richtungen der Stilistik ist gemeinsam, daß sich ihr Stilbegriff vor allem auf das ästhetisch wirksame Kunstwerk bezieht und daß Stil dabei nur als Spiegelung bestimmter seelischer Vorgänge des Autors oder als psychische Wirkungskomponente für den Hörer oder Leser aufgefaßt wird. Eine solche Sicht muß dort unzureichend bleiben, wo ein Sprachkunstwerk weniger emotional und psychisch bedingt ist, die Sprachgestaltung vielmehr rationalen Erwägungen folgt, oder wo wir es nicht mit ästhetischen Gebilden zu tun haben. Besitzt die erlebnishaft-psychologische Stilauffassung somit nur eine sehr eingeschränkte Gültigkeit, so verdient die Auffassung von der Aktualisierbarkeit bestimmter Stilwerte Beachtung. Sie lag in gewisser Weise bereits der rhetorischen Stilauffassung zugrunde, nach der durch bestimmte Stilmittel bestimmte Stilwirkungen erreicht werden sollten, und findet sich auch in anderen Richtungen der Stilistik wieder. Starre Festlegungen der stilistischen Wirkung bestimmter Textgestaltungen hingegen, wie sie gelegentlich innerhalb der psychologischen Stilistik begegnen, wird man allenfalls nach vorsichtiger Prüfung akzeptieren können, da die Wirkung eines bestimmten Sprachstils keineswegs auf alle gleich ist und zudem von verschiedenen Umständen abhängig ist.

Stil als Einheit der künstlerischen Gestaltung

Die Eigenart der Sprachgestaltung und Sprachform, in der das Wesen des Sprachstils meistens gesehen wird, äußert sich in der Einheit wiederkehrender Elemente. Die charakteristischen Elementfolgen und -kombinationen werden in der Stilistik unter verschiedenen Aspekten betrachtet. Neben der individualisierenden und psychologischen Blickweise erscheint die kunstkritische oder interpretierende, die im Slil die Art und Weise des Zusammenwirkens der sprachlichen, aber auch der inhaltlichen und formalen Gestaltungsmitte erblickt. E. Staiger, einer der bedeutendsten Vertreter dieser Auffassung, betont: »Wir nennen Stil das, worin ein vollkommenes Kunstwerk – oder das ganze Schaffen eines Künstlers oder auch einer Zeit – in allen Aspek-

16

ten übereinstimmt ... Im Stil ist das Mannigfaltige eins. Es ist das Dauernde im Wechsel . . . Kunstgebilde sind vollkommen, wenn sie stilistisch einstimmig sind.«7 Der Stilbegriff dieser Richtung, die Staiger als »die Interpretation – die Stilkritik oder immanente Deutung der Texte« bezeichnet, die andere die »werkimmanente Interpretation« nennen, wird zugleich in ihrer Methode der Textanalyse deutlich, in der vom individuellen Eindruck des Betrachters ausgegangen und zur Analyse und Beschreibung der wirkenden Elemente und ihres Verhältnisses zueinander und zum Inhalt fortgeschritten wird. Der Sprachstil ist hier allerdings nur eine Schicht der Gestaltung neben anderen; die notwendige Trennung zwischen dem inhaltlichformalen Darstellungsstil und dem Sprachstil wird meistens aber nicht klar betont. 8 Künstlerisch weniger vollkommene oder nichtkünstlerische Texte werden so in die Nähe des Stilbruchs und der Stillosigkeit gerückt.

Stil als Abweichung von einer Norm

Wiederholt wird heute die Auffassung vertreten, daß sich sprachlicher Stil nur in Abweichungen von einer sprachlichen Gebrauchsnorm äußert.9 Diese Ansicht ist nicht neu, liegt sie doch bereits den rhetorischen Figuren und Tropen zugrunde, die als verfremdende Entfernung vom normalen Sprachgebrauch aufgefaßt wurden. Sie findet sich auch bei einigen Vertretern der psychologisch fundierten Stilistik, wenn diese z.B. nur der sprachlichen Aktualisierung von Gemütskräften im dichterischen Ausdruck Stilcharakter zuerkennen. Auch zwischen einer personalen Stilauffassung und der »Abweichungsstilistik« besteht kein grundsätzlicher Widerspruch, soweit man dabei nur an den Stil mancher Dichter denkt, der sich von der rein kommunikativen Sprachverwendung der Alltagssprache auffallend unterscheidet. In neueren Untersuchungen wird gerade das Wesen der poetischen Sprache allgemein als Abweichung von anderen Sprachnormen verstanden, Beispiele zur Stützung dieser These lassen sich aus Dichtungen aller Zeiten erbringen, ob man nun die gereimte Form älterer Dichtungen oder die ungewöhnlichen Wortkombinationen moderner Dichtung als Abweichung von der Norm der Schriftsprache ansieht. Es spielt dabei auch keine Rolle, ob es sich hier um Abweichungen von einer eher statistisch erfaßbaren Gebrauchsnorm oder einer eher psychologisch faßbaren Erwartungsnorm handelt, die den Rezipienten (Leser/Hörer) die Varietät a1s Kontrast zur gewohnten Sprachform erleben läßt.

Für eine umfangreichere Stilistik erweist sich aber auch dieser Stilbegriff als wenig geeignet, 1. weil hier, über den Stilbegriff Goethes und den der personalen Stilauffassung hinausgehend, der Stilcharakter nur außergewöhnlichen Sprachgestaltungen vorbehalten wird, als die nicht einmal alle dichterischen Texte gelten können, rein kommunikative Ausdrucksformen dagegen ganz ausgeklammert werden; 2. weil weder der Begriff der sprachlichen Norm10

17

noch der der Abweichung davon klar festlegbar sind. Was als allgemein noch üblich oder als ungewöhnlich oder gar normwidrig im sprachlichen Ausdruck angesehen werden muß, hängt zudem oft von subjektiven Erwägungen oder situativen Bedingtheiten ab, so daß die für wissenschaftliche Fixierungen notwendige intersubjektive Beurteilungsgrundlage hier nicht immer gegeben ist. Die Bedeutung des Irregulären als Stilmittel sollte jedoch auch in einer weitergehenden Stilauffassung nicht unberücksichtigt bleiben.

Stil als zeitund gruppengebundener Sprachausdruck

Eine wenig beliebte Prüfungsaufgabe mancher Philologen besteht noch heute darin, anonyme Texte aus verschiedenen Zeiten aufgrund stilistischer Merkmale in ihre jeweilige Entstehungsepoche einzuordnen. Dem geübten Philologen, der genügend Texte aus verschiedenen Zeiten gelesen hat, gelingt diese Aufgabe meistens deshalb, weil in den verschiedenen Literaturepochen unterschiedliche Leitwörter, Redewendungen und syntaktische Formen dominieren, von lautlichen Besonderheiten, orthographischen Gepflogenheiten u.a. ganz abgesehen. Es zeigt sich hier, daß auch der Individualstil eines Autors durch zeitbedingte dominante Stilmittel mitgeprägt sein kann, daß sich gewisse Übereinstimmungen zwischen den Stilen zeitgenössischer Autoren einer bestimmten Literaturepoche ergeben, ja, daß mitunter der Stil eines Autors in einem bestimmten Werk dem eines Zeitgenossen näher stehen kann als einem eignen späteren Werk. So hat z.B. Goethes »Werther« mit anderen sentimentalen Romanen der Epoche der Empfindsamkeit manche stilistische Eigenarten gemeinsam, die wir in späteren Prosaweken Goethes, etwa in den »Wahlverwandtschaften«, nicht wiederfinden. Wir sind aufgrund solcher Befunde berechtigt, von besonderen Zeitoder Epochenstilen zu sprechen, ja innerhalb solcher Epochen auch nach literarischen Gruppenstilen zu differenzieren. 11 So zeigen z.B. die Dichtungen der Jenaer Romantiker andere Stilmerkmale als etwa die gleichzeitigen Werke der Weimarer Klassiker. Neben den individuellen Stilbesonderheiten der einzelnen Autoren wirken sich hier gruppenmäßige Einflüsse aus, die sich aus gemeinsamen Vorstellungen, gemeinsamen dichterichen Programmen, Sprachauffassungen, rnitunter auch aus gegenseitiger Kritik und gemeinsamen Formulierungen ergeben. Unterschiedliche Gruppenstile wiederum auch generationsbedingt sein. Ferner ist es möglich, daß sich das gleiche Lebensgefühl einer Generation in Einzelzügen eines gemeinsamen Generationsstil kundtut. Über die Zeitgenossenschaft hinaus lassen sich mitunter Stilbesonderheiten entdecken, die in verschiedenen Zeiten zum Ausdruck der Jugend oder auch des Alters gehören. Solche Gemeinsamkeiten kennzeichnen besondere Jugendbzw. Altersstile. Es gibt also verschiedene Formen zeitund gruppengebundener Stileinllüsse und Stilbesonderheiten. Zwar sind solche zeitund gruppenbedingten Merkmale in der Literatur nicht so leicht zu ent-

18

decken wie z.B. die Merkmale zeitbedingter Stilideale in der Baukunst, etwa der Romantik oder Gotik, dennoch wird man den Einfluß solcher überindividu-eller Faktoren auf den Stil des einzelnen nicht leugnen können. Wir haben es hier mit einer Erscheinung zu tun, die auch außerhalb der Dichtung feststellbar ist und leicht ins Auge fällt, wenn man z.B. Zeitungstexte oder -anzeigen aus der wilhelminischen Zeit mit solchen von heute vergleicht. Auch hier tritt die Zeitgebundenheit der einzelnen Texte im Wortschatz wie in den syntaktischen Fügungen deutlich in Erscheinung.

Stil als gattungsgebundene Ausdrucksweise

Der Begriff des Individualstils erfährt jedoch nicht nur durch den Nachweis zeitund gruppengebundener Stilerscheinungen manche Einengung; auch gattungsbedingte Eigenheiten wirken sich auf den Stil eines Werkes aus. So lassen sich z.B. zwischen Goethes erstem Drama, dem 1773 in einer Umar-beitung erschienenen »Götz von Berlichingen«, und Goethes erstem Roman, den »Leiden des jungen Werthers«, der 1774 erschien, trotz mancher stilisti-scher Gemeinsamkeiten zahlreiche Unterschiede, vor allem im Satzbau, fest-stellen. Hier haben offenbar zwei verschiedene Gattungsstile die Gemein-samkeiten des Individualstils zurückgedrängt. Die Anforderungen an die Sprache des Dramas waren anderer Art als die an einen sentimentalen Roman. Die Sätze eines Dramas, insbesondere, wenn sie – wie im Sturm und Drang – dem Stilideal der Natürlichkeit entsprechen wollten, mußten kürzer und umgangssprachlicher sein als die der Briefe einer zur stillen Lektüre bestimm-ten Briefromans. Die Ansiedlung des dramatischen Geschehens in der Adelsund Bürgerwelt des 16. Jhs. verlangte zudem im Wortschatz Anlehnungen an die Ausdrucksweise dieser Zeit und Gesellschaft sowie die sprachliche Diffe-renzierung ihrer Personen, auch wenn hier die Auswirkungen des Historismus des 19. Jhs. mit seiner Koloritund Milieunachahmung noch nicht sichtbar sind. Der Gattungsstil des historischen Dramas ist auf jeden Fall ein anderer als der des empfindsamen Romans. Ähnliche Stilunterschiede lassen sich zwischen anderen Gattungen im Werk des gleichen Autors feststellen.

Noch auffallender ist die Gattungsgebundenheit des Stils bei nichlliterarischen Textsorten (sog. Gebrauchstexten), deren Stil meistens durch den Zweck der Texte bestimmt wird. Hier kann die individuelle Textgestaltung manchmal ganz verschwinden und der Formelhaftigkeit Platz machen (z.B. in Geschäftsbriefen).

19

Stil als funktionale Redeweise

Die Vorstellung von einer gattungswie zweckgebundenen Stilprägung, die sich schon in Stilistiken des 18. und 19. Jhs. findet, ist in den letzten Jahrzehnten, vor allem unter dem Einfluß der russischen und tschechischen Stilistik, zu einem sprachlichen Modell mehrerer funktionaler Stile ausgeweitet worden. Innerhalb der funktional ausgerichteten Stilistik wird unter Stil »ein System der Ausdrucksgestaltung, der Verwendungsweise der sprachlichen Möglichkeiten«12 oder einfacher: »eine zweckmäßig gestaltete Sprache«13 verstanden. Dabei wird vorausgesetzt (und durch Stilanalysen bewiesen), daß in bestimmten Bereichen der Sprachverwendung bestimmte charakteristische Stilmerkmale dominieren, z.B. die Neigung zu sprachlichen Abstrak-tumsbildungen im Stil der Wissenschaft. Die »charakteristischen Eigenarten der Sprachverwendung«, als die wir eingangs den Stil eines Textes gekennzeichnet hatten, erweisen sich hier als notwendige, wenn auch variable sprachliche Erfordernisse zur Erfüllung bestimmter Ausdrucksfunktionen.

Die russische Germanistin E. Riesel konstatiert für die deutsche Sprache fünf verschiedene funktionale Stile: l. den Stil des öffentlichen Verkehrs, 2. den Stil der Wissenschaft, 3. den Stil der Publizistik und der Presse, 4. den Stil des Alltagsverkehrs, 5. den Stil der schönen Literatur.14

Tschechische Linguisten haben ähnliche Gruppierungen ausgearbeitet.15 Solche Einteilungen sind zunächst vorläufig und haben damit nur heuristischen Wert. Es ist durchaus möglich, ja anzunehmen, daß sich aufgrund stilistischer Einzeluntersuchungen noch differenziertere Verhältnisse ergeben, die weitere Gruppierungen notwendig machen.

Auch innerhalb der genannten >Funktionsstile< sind weitere Differenzierungen zu empfehlen. So wäre etwa darauf zu achten, ob es sich um schriftliche oder mündliche, monologische oder dialogische Ausdrucksweisen, um Mitteilungen oder Forderungen und Appelle handelt usw.

Im einzelnen zählt E. Riesel zum Stil des öffentlichen Verkehrs16 Texte amtlicher Art, Gesetze, Vorschriften und Protokolle, juristische und wirtschaftliche Korrespondenzen und Akten, amtliche öffentliche Reden, Gespräche amtlicher Natur u.ä., die nach Auffassung der Autorin gerneinsame Stllmerkmale aufweisen. Zum Stil der Wissenschaft17 gehören das gesamte wissenschaftliche und technische Schrifttum sowie wissenschaftliche Vorlesungen und Vorträge, zum Stil der Publizistik und der Presse18 zählen Zeitungsberichte, Reportagen, Kommentare, Besprechungen u.ä. Inwieweit auch mündliche und schriftliche Texte der politischen Agitation hier eingeordnet werden können, wie es E. Riesel tut, bedürfte näherer Untersuchungen. Es erscheint ratsam, solche Texte ebenso wie Texte der Werbung wegen ihres appellartigen Charakters als Beispiele eines eigenen Funktionsstils aufzufassen.

Über den Stil der deutschen Alltagssprache hat E. Riesel eine eigene umfangreiche Untersuchung veröffentlicht.19 Sie rechnet zu diesem Funk-

20

tionsstil die Ausdrucksformen in der nichtoffiziellen Sphäre des gesellschaft-lichen Verkehrs, die der »ungezwungen-lockeren Verständigung der Menschen im privaten Umgang miteinander« dienen. Im einzelnen wären aber auch diesem Funktionsstil eine Reihe verschiedener Untergruppen zuzuzählen.

Den Stil der schönen Literatur als eigenen funktionalen Stil aufzufassen20, ist wohl nur von der Funktion solcher Texte im Zusammenhang mit den übrigen kommunikativen Verwendungsweisen von Sprache erlaubt, weniger vom Vorhandensein spezifischer stilistischer Eigenheiten, da solche innerhalb der möglichen Texte dieser Gruppe äußerst vielfältig und differenziert sind. Personalstile, Epochenstile, Gattungsstile kommen hier stärker zur Geltung als in anderen Stilbereichen, so daß die Zuordnung zu den Funk-tionsstilen nur auf allgemeinen Kriterien beruhen kann.

Die Theorie der Funktionalstile hat dazu beigetragen, daß der Begriff des Sprachstils etwas vom Charakter des Individuell-Zufälligen verloren hat, der ihm bisher im allgemeinen Bewußtsein anhaftete. Mit der Erkenntnis einer bestimmten zweckgebundenen Systematik in der stilistischen Gestaltung ist zugleich eine Annäherung der linguistischen Stilistik, die auch poetische Texte mit in ihre Untersuchungen einzubeziehen wird, an die sprachliche Systemforschung der synchronischen Linguistik möglich.

Die funktionale Stilauffassung betont zwei wichtige Aspekte der Stilistik, die in den bisher gekennzeichneten Stilauffassungen nicht oder zu wenig berücksichtigt oder anders verstanden wurden: l. den Stilcharakter aller sprach-lichen Äußerungen und 2. die Auffassung vom Stil als einer Wirkungsforrn der Sprache.

Die funktionale Stilistik greift den bereits in der antiken Rhetorik gültigen Grundsatz auf, daß unterschiedliche Redezwecke auch unterschiedliche stilistische Anforderungen bedingen. Diese Regel ist weniger pragmatisch als Forderung denn empirisch als Erfahrung aufzufassen, die jedoch ständig überprüft werden muß. Die funktionale Stilistik kann dabei ein ähnliches situativ bedingtes sprachliches Rollenverhalten der verschiedenen Sprecher feststellen, wie es die Mundartforschung schon vor einiger Zeit im sprachlichen Umgang zwischen rangverschiedenen Dorfbewohnern ermittelt hat.21

Stil als eine durch Situation

und Intention bestimmte Redeform

Von der funktionalen Stilauffassung beeinflußt oder analog zu ihr entwickelt, sucht neuerdings eine pragmatisch-linguistisch orientierte Stilistik den Sprachstil als eine durch kommunikative Faktoren bedingte Redeform aufzufassen.22 Als dominierende Hauptfaktoren haben danach die Redesituation und die Mitteilungsabsicht (Intention) zu gelten, die zu bestimmten Formen der Textvarietät führen. Häufig werden dabei solche mündlich und schrift-

21

lich üblichen Textmuster variiert oder nachgeahmt, die sich aufgrund besonderer Gcstaltungsprinzipien (z.B. Übersichtlichkeit, Ökonomie, Genauigkeit o.ä.) als situativ und intentional zweckmäßig erwiesen haben und so konventionell üblich geworden sind. Derartige Textmuster begegnen uns vor allem in den Textsorten der Publizistik und des öffentlichen Schriftverkehrs. Ihre Strukturen werden seit einiger Zeit durch die Textlinguistik erforscht. 23

Im Bereich der Literatur erweist sich eine solche pragmatische Stilauffassung als wenig brauchbar, da sie der jeweiligen künstlerischen Eigenart zu wenig gerecht wird. Aber auch innerhalb des Gattungsbzw. Textsortenstils nicht-literarischer Texte sind Individualstile möglich, die so nicht erfaßt werden können.

Stil als angemessene Ausdrucksweise

Soweit Stilistik nicht als beschreibende und interpretierende Stilforschung, sondern als pädagogische Disziplin der Stillehre und Stilerziehung verstandden wird - wie dies in älteren Werken oft begegnet -, liegt hier meistens eine Auffassung vom sogenannten »guten«, d.h. vor allem »angemessenen Stil« zugrunde. Bisher blieb aber nicht selten unklar, worin diese Angemessenheit des sprachlichen Ausdrucks bestehen sollte.24 So wurden hier oft bestimmte Stilregeln verkündet, ohne daß jeweils eine genaue Textbestimmung gegeben war. Eine Anweisung wie die, möglichst oft Verben statt Substantive zu verwenden, ist z.B. dort weniger sinnvoll, wo es um die Formulierung einer wissenschaftlichen Arbeit geht, die eine besonders exakte Begrifflichkeit und damit einen ausgesprochenen Nominalstil verlangt. Auch die oft erhobene Forderung nach einem möglichst flüssigen, schnell lesbaren Stil kann nicht immer erfüllt werden; z.B. nicht bei detaillierten Beschreibungen. Es erscheint daher sinnvoll, durch eine funktionale Stilistik bestimmte zweckentsprechende Verwendungsweisen stilistischer Mittel zu erforschen und daran eine funktionale Stilistik bestimmte zweckentsprechende Verwendungsweisen stilistischer Mittel zu erforschen und daran eine funktionale und zugleich didaktische Stillehre anzuschließen, die die Zusammenhänge zwischen Ausdrucksart, Ausdrucksmitteln und Ausdruckswirkungen einsichtig macht.

Stil als Auswahl zwischen mehreren sprachlichen Möglichkeiten

Die gleiche Ausweitung des Stilbegriffs auf alle sprachlichen Äußerungen, die von der funktionalen Stilistik vorgenommen wird, findet sich seit einiger Zeit auch bei verschiedenen Vertretern einer betont linguistischen Stilistik.

22

Stil bedeutet hier, »daß ein Text aus den vorhandenen syntaktischen und lexikologischen Möglichkeiten der Sprache einzelne in gesetzmäßiger Wiederkehr und individueller Weise auswählend verwirklicht«.25 Eine solche Stilauffassung geht von der Tatsache aus, daß die meisten Gegebenheiten und Informationen in mehrfacher Weise sprachlich artikulierbar sind und diese verschiedenen Ausdrucksvariationen innerhalb eines gleichen Kontextes (Sinnzusammenhangs) einander ersetzen können. Um Bereich des Wortschatzes werden solche gleichbedeutenden oder zumindest bedeutungsähnlichen Wörter als Synonyme (ursprünglich: Mitbenennungen), bedeutungsgleiche oder sehr bedeutungsähnliche Sätze oder Satzteile als synonyme Aussagen oder Sätze bezeichnet. Man kann Synonyme als Wörter oder Aussagen von verschiedener logisch-gegenständlicher Bedeutung ansehen, die »im konkreten Satzund Großzusammenhang auf ein und denselben Gegenstand der Rede« bezogen und gegenseitig austauschbar sind.26 Auch bestimmte grammatische Strukturen können in ähnlicher Weise als synonym angesehen werden. An Stelle des Aktivs kann oft das Passiv erscheinen, an Stelle des Adjektivattributs ein prädikatives Adjektiv oder eine Apposition, anstelle der Parataxe die Hypotaxe usw. Wir stellen im folgenden einige lexikalische und stilistisch relevante Synonyme gegenüber:

Urlaub - Ferien; Premiere - Uraufführung; mein Wagen - mein Auto; eine Lektüre - etwas zum Lesen; arbeiten - schaffen.

Die rote Rose – die Rose ist rot.

Mein Nachbar ist Handelsvertreter. – Der Mann von nebenan arbeitet als Handelsvertreter. - Mein Nachbar, der Handelsvertreter,.. .

In den Synonymwörterbüchern der Einzelsprachen werden solche Übereinstimmungen im lexikalischen Bereich gesammelt und in alphabetischer Reihenfolge dargeboten. Wir wählen einige Beispiele aus einem solchem Synonymwörterbuch: 27

quälen [gekürzt] – a) jd. etwas quälen: einem wehrlosen Menschen, einem Tier (absichtlich) auf grausame Weise Schmerzen zufügen; einen Menschen längere Zeit (aus Böswilligkeit) physische oder psychische Qualen erleiden lassen; b) etwas quält jemanden: jds. Körper oder Gemüt in einen Zustand des Leidens, seelischen Schmerz bereiten, zufügen. → mißhandeln; → peinigen; →foltern; → martern.

Gesuch [gekürzt] - Schreiben an eine Behörde; → Antrag; → Eingabe; → Petition; → Bittschrift.

Auch die sogenannten Stilwörterbücher bringen neben Beispielen für die kontextuale und syntaktische Einbettung bestimmter Wörter Hinweise auf die Bedeutung der einzelnen Wörter und damit Synonyma oder synonyme Umschreibungen, die ebenfalls einen großen Teil der stilistisch relevanten Synonymik ausmachen. Auch dafür einige Beispiele:28

Grat, der: schmaler Gebirgsrücken: ein schmaler, scharfer Grat; den Grat eines Berges entlangwandern.

Kurzweil, die (veraltend): Zeitvertreib: allerlei K. treiben; etwas nur zur/aus K. tun.

23

Соседние файлы в предмете [НЕСОРТИРОВАННОЕ]