Добавил:
Upload Опубликованный материал нарушает ваши авторские права? Сообщите нам.
Вуз: Предмет: Файл:

Spieltheorie_WS1213

.pdf
Скачиваний:
13
Добавлен:
21.03.2016
Размер:
2.44 Mб
Скачать

¨

29

2.5. RATIONALITAT DER AKTEURE

dings mit dem Hinweis auf m¨ogliche Schw¨achen einer Methode noch keine Alternative genannt ist, und schon gar keine bessere Alternative. Dennoch zeigt das Allais-Paradoxon, dass die Rationalit¨atspr¨amisse nicht v¨ollig unangreifbar ist - jedenfalls dann, wenn Rationalit¨at hinl¨anglich eng gefasst wird, was noch zu erl¨autern sein wird.

Abschließend erfolgen einige Bemerkungen zur Modellierung beschr¨ankter Rationalit¨at - eine der Forschungsfronten der Spieltheorie bzw. der Wirtschaftstheorie uberhaupt¨.

2.5.1Das St. Petersburg Paradoxon

Zu Beginn des 18. Jahrhunderts1 formulierte der Schweizer Mathematiker Nikolaus Bernoulli eine Lotterie mit einer bemerkenswerten Eigenschaft: Die Zahlungsbereitschaften potentieller Spieler weichen dramatisch von der objektiv berechenbaren erwarteten Auszahlung der Lotterie ab. Eine L¨osung dieses scheinbaren Paradoxons bot Daniel Bernoulli, ein Cousin von Nikolaus Bernoulli.2

Das angebotene Spiel ist sehr einfach und kann wie folgt beschrieben werden:

Eine (faire) M¨unze wird wiederholt geworfen. Es wird zu Beginn vereinbart, wie oft die M¨unze maximal geworfen wird. Dies ist eine Zahl I mit 1 ≤ I ≤ ∞.

Taucht zum ersten Mal ”Kopf” auf, so ist das Spiel beendet. Die Auszahlung betr¨agt in diesem Fall Null.

Taucht ”Zahl” auf, so erh¨alt der Spieler vom Anbieter des Spiels (Veranstalter der Lotterie) eine mit der Anzahl des sukzessiven Auftauchens von ”Zahl” wachsende Auszahlung. Diese beginnt bei 1E nach dem ersten Wurf von ”Zahl” und verdoppelt sich danach jeweils, betr¨agt also 2E beim zweiten Mal, dann 4E, 8E etc.. Einmal erhaltene Auszahlungen beh¨alt der Spieler. Bei einer Wur olge ”ZZZK” erh¨alt der Spieler also 1E + 2E + 4E = 7E.

Das Spiel kann in dem Spielbaum der Abbildung 2.14 auf der n¨achsten Seite dargestellt werden. An jedem Knoten ist die bei Erreichen jeweils f¨allige Auszahlung angegeben. Man beachte, dass an jedem Endknoten nur die zus¨atzliche Auszahlung gleich Null ist, insgesamt das Spiel aber eine Auszahlung in H¨ohe der Summe der Auszahlungen, die bei den passierten Knoten nach Wurf von ”Zahl” f¨allig werden, aufweist.

1Dieser Abschnitt basiert auf der Darstellung in Jerger (1992).

2Die L¨osung von Daniel Bernoulli wurde w¨ahrend eine Aufenthalts in St. Petersburg ausgearbeitet und auch dort im Jahr 1738 ver¨o entlicht - daher der Name des Paradoxons.

¨

30 KAPITEL 2. EINFUHRUNG: ELEMENTE DER SPIELTHEORIE

Zahl

Kopf

1 Zahl

Kopf

0

2Zahl Kopf

0

8

4Zahl Kopf

0

0

etc.

Abbildung 2.14: Das St. Petersburg-Paradoxon

Zun¨achst ist nun der Erwartungswert des Spiels zu berechnen. Daf¨ur ist die Wahrscheinlichkeit p (i), eine beliebige Zahl i von W¨urfen hintereinander ”Zahl” zu werfen entscheidend. Diese Wahrscheinlichkeit ist gegeben durch

p (i) =

 

1

·

1

· . . .

1

 

=

1

(2.6)

2

2

2

 

2i

 

 

 

 

 

 

 

 

|

 

 

 

{z

 

 

}

 

 

 

 

 

i

Faktoren

 

 

 

Die Auszahlung W (i) f¨ur den Fall, dass i Mal hintereinander ”Zahl” f¨allt ist

gegeben durch

 

W (i) = 2i−1

(2.7)

Die erwartete Auszahlung E (W (I)) bei maximal I W¨urfen ist also gegeben

durch

I

p (i) · W (i) =

I

1 · 2i−1 =

I

1

= I .

(2.8)

E (W (I)) =

 

X

 

X

 

 

X

 

 

 

 

 

 

i=1

 

i=1

2i

i=1

2

2

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die erwartete Auszahlung w¨achst also proportional mit der maximalen Anzahl der W¨urfe. Dies ist deshalb so, weil an jedem Punkt des Spiels, die Option, weiter zu spielen, einen positiven Wert hat – egal wie h¨aufig zuvor bereits ”Zahl” erschien. Dadurch impliziert ist aber auch, dass der Erwartungswert des Spiels bei einer ex ante unbegrenzten Zahl von W¨urfen unendlich hoch ist. Selbst bei einer sehr begrenzten Maximalzahl von W¨urfen von z.B. I = 100 w¨aren aber die wenigsten Spieler bereit, f¨ur die Teilnahme 50E zu bezahlen. Die relativ hohe Wahrscheinlichkeit mit keinem oder sehr geringen Gewinnen das Spiel zu verlassen, f¨uhrt in aller Regel zu einer subjektiven Bewertung des Spiels unterhalb des Erwartungswerts.

Die grundlegende Idee von Daniel Bernoulli, die eine L¨osung dieses Paradoxons erm¨oglicht, liegt in der konzeptionellen Trennung von erwarteter Auszahlung und dessen Nutzen. In seinen eigenen Worten (der englischen

¨

Ubersetzung) beschreibt er die Grundlage des Paradoxons wie folgt:

”Until now scientists have usually rested their hypothesis on the assumption that all gains must be evaluated exclusively in terms of themselves, i.e., on the levels of their intrinsic qualities, and that these gains will always produce a utility directly proportionate to the gain.”

¨

31

2.5. RATIONALITAT DER AKTEURE

Es bedarf daher einer Bewertung des Spiels in Kategorien des erwarteten Nutzens - wie dies bereits als von Neumann-Morgenstern-Funktion eingef¨uhrt wurde. Anstelle des Erwartungswertkriteriums ( 2.8 auf der vorherigen Seite) ist daher

E (u (W (I))) =

I

p (i) · u (W (i)) =

I

1 · u 2i−1

(2.9)

 

X

 

X

 

 

 

 

i=1

 

i=1

2i

 

 

 

 

 

 

heranzuziehen. Daniel Bernoulli selbst schlug daf¨ur die folgende logarithmische Nutzenfunktion vor:

u (W ) = a · ln (W ) ,

(2.10)

wobei a eine positive Konstante ist.1 Einsetzen von ( 2.10) in ( 2.9) liefert dann

E (u (W (I))) =

I

 

 

1

· a · ln 2i−1

 

= a ·

I

i − 1

ln 2 = a · ln 2·

I

 

 

i − 1

 

X

 

 

 

X

 

X

(2.11)

 

 

2i

 

 

 

2i

 

i=1

 

 

 

 

 

i=1

i=1

 

 

2i

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

I

 

 

 

 

 

 

 

I

 

 

 

 

Die unendliche Reihe

P

ii1

konvergiert gegen den Wert 1, d.h. lim

P

ii1 = 1.

 

 

i=1

2

 

 

 

 

 

I→∞ i=1

 

2

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Somit ist also der Erwartungsnutzen des Spiels bei einer ex ante nicht begrenzten Zahl von W¨urfen gegeben durch

E (u (W (∞))) = a · ln 2.

(2.12)

Anstelle des Erwartungswerts von Unendlich f¨uhrt die Bewertung mit der

¨

Nutzenfunktion ( 2.10) zu einer Aquivalenz der Lotterie mit einem sicheren Gewinn in H¨ohe von 2. In Experimenten, in denen Probanden dieses Spiel angeboten wurde, war eine Zahlungsbereitschaft in der Regel zwischen 2 und 3E zu beobachten. Dies legt nahe, dass die logarithmische Nutzenfunktion (2.10) eine o enbar realit¨atsnahe Spezifikation ist.

(2.10) weist die f¨ur das Ergebnis eines endlichen Erwartungsnutzens einer Lotterie mit unendlich hoher erwarteter Auszahlung zentrale Eigenschaft sinkenden Grenznutzens und damit der Risikoaversion auf.

2.5.2Das Allais-Paradoxon

¨

Das Allais-Paradoxon - bezeichnet nach dem franz¨osischen Okonomen Maurice Allais, der v.a. f¨ur seine Arbeit aus dem Jahr 1953 sp¨ater den Nobelpreis erhielt - schildert eine Situation, in der beobachtbares Verhalten den Axiomen der Nutzentheorie widerspricht und damit rationales Verhalten der Akteure o ensichtlich nicht gegeben ist.

Nehmen Sie an, Sie h¨atten die Wahl zwischen folgenden Lotterien, wobei es f¨ur den Vergleich egal ist, ob diese kostenlos sind, oder ob ein Los jeweils

¨

32 KAPITEL 2. EINFUHRUNG: ELEMENTE DER SPIELTHEORIE

Lotterie A

2500 E mit einer Wahrscheinlichkeit von 33%

2400 E mit einer Wahrscheinlichkeit von 66%

0 E mit einer Wahrscheinlichkeit von 1%

Lotterie B

2400 E mit einer Wahrscheinlichkeit von 100% (”degenerierte Lotterie”)

Tabelle 2.2: Lotterie A und B, Teil 1

den gleichen Preis hat.

Die Wahl ist nicht ganz o ensichtlich, d.h. l¨asst o ensichtlich Raum f¨ur unterschiedliche Risikoeinstellungen. Das Maximin-Kriterium f¨uhrt nat¨urlich zu einer Pr¨aferenz von B uber¨ A, das Erwartungswertkriterium zu der umgekehrten Pr¨aferenz, da (f¨ur einen Preis des Loses von Null) gilt, dass E (WA) = 2500 · 0, 33 + 2400 · 0, 66 + 0 · 0, 01 = 2409 > E (WB) = 2400.

Wenn die beiden Lotterien tats¨achlich (in einem Experiment) angeboten werden, so entscheiden sich viele f¨ur Lotterie B, d.h. die wenn auch kleine Wahrscheinlichkeit (1%), v¨ollig leer auszugehen, wird gerne vermieden, auch wenn man daf¨ur auf die Chance, 100 E mehr zu gewinnen, verzichten muss. Anders gesagt: Viele Menschen sind hinreichend risikoavers, um Lotterie B der Lotterie A vorzuziehen.

Nachdem eine Entscheidung zwischen den Lotterien A und B gefallen ist, gibt es nun eine zweite Wahl zu tre en, n¨amlich zwischen den folgenden Lotterien C und D.

Lotterie C

2500 E mit einer Wahrscheinlichkeit von 33%

0 E mit einer Wahrscheinlichkeit von 67%

Lotterie D

2400 E mit einer Wahrscheinlichkeit von 34%

0 E mit einer Wahrscheinlichkeit von 66%

Tabelle 2.3: Lotterie C und D, Teil 1

Selbstverst¨andlich sind beide Lotterien schlechter als A und B, beide haben aber einen positiven Erwartungswert.1 Konkret gilt folgendes f¨ur die erwarteten Auszahlungen der beiden Lotterien: E (WC ) = 2500 · 0, 33 = 825 > E (WD) = 2400 · 0, 34 = 816.

1F¨ur alle qualitativen Eigenschaften der Nutzenfunktion ist es unerheblich, auf welche Basis sich die Logarithmus-Operation bezieht – hier wurde der nat¨urliche Logarithmus verwendet.

1Das Maximin-Kriterium f¨uhrt hier o ensichtlich zu einer Indi erenz.

¨

33

2.5. RATIONALITAT DER AKTEURE

Hier w¨ahlen nun viele Personen, die zuvor Lotterie B gew¨ahlt haben, Lot-

¨

terie C, d.h. diejenige mit dem h¨oheren Erwartungswert. Die Uberlegung dahinter mag wie folgt lauten: ”Am wahrscheinlichsten ist ohnehin, dass ich leer ausgehe. Ob nun die Gewinnchance 33% oder 34% betr¨agt, ist ohnehin fast das gleiche. Also entscheide ich mich f¨ur den h¨oheren Gewinn, f¨ur den Fall, dass ich Gl¨uck habe.”

F¨ur den ”gesunden Menschenverstand” sind beide Entscheidungen ”nicht unplausibel”, jedenfalls begr¨undbar, und durchaus auch nicht inkonsistent miteinander. Jedenfalls ist nicht o ensichtlich, dass diese beiden Entscheidungen mit dem Postulat rationalen Verhaltens inkonsistent sind. Genau dies ist aber gem¨aß den Postulaten der Erwartungsnutzentheorie der Fall. Diese Inkonsistenz soll im Folgenden gezeigt werden.

Zu diesem Zweck werden die Lotterien A und B wie folgt dargestellt.

Lotterie A

2400 E mit einer Wahrscheinlichkeit von 66%

2500 E mit einer Wahrscheinlichkeit von 33%

0 E mit einer Wahrscheinlichkeit von 1%

Lotterie B

2400 E mit einer Wahrscheinlichkeit von 66%

2400 E mit einer Wahrscheinlichkeit von 34%

Tabelle 2.4: Lotterie A und B, Teil 2

Die beiden ersten Zeilen sind jeweils identisch, k¨onnen also bei einem Nutzenvergleich vernachl¨assigt werden. Die zuvor beschriebene Entscheidung zwischen Lotterie A und B muss also darauf beruhen, dass

E (u (WA) − u (WB)) = 0, 33 · u (2500) + 0, 01 · u (0) − 0, 34 · u (2400) < 00, 33 · u (2500) + 0, 01 · u (0) < 0, 34 · u (2400) (2.13)

Nur wenn diese Beziehung gilt, wird ein rationaler Akteur Lotterie B der Lotterie A vorziehen (B A).

Analog k¨onnen Lotterien C und D leicht umgeschrieben werden in die folgende Form:

Hier ist die jeweils letzte Linie identisch und kann also bei einem Vergleich weggelassen werden. Eine H¨ohersch¨atzung von Lotterie C relativ zu Lotterie D bedingt also

E (u (WC ) − u (WD)) = 0, 33 · u (2500) + 0, 01 · u (0) − 0, 34 · u (2400) > 00, 33 · u (2500) + 0, 01 · u (0) > 0, 34 · u (2400) (2.14)

¨

34 KAPITEL 2. EINFUHRUNG: ELEMENTE DER SPIELTHEORIE

Lotterie C

2500 E mit einer Wahrscheinlichkeit von 33%

0E mit einer Wahrscheinlichkeit von 1%

0E mit einer Wahrscheinlichkeit von 66%

Lotterie D

2400 E mit einer Wahrscheinlichkeit von 34%

0 E mit einer Wahrscheinlichkeit von 66%

Tabelle 2.5: Lotterie C und D, Teil 2

O ensichtlich stehen ( 2.13 auf der vorherigen Seite) und ( 2.14 auf der vorherigen Seite) in diametralem Widerspruch zueinander. Anders gesagt: Ein rationales Individuum, das sich bei der Auswahl zwischen A und B f¨ur B entscheidet, muss sich bei der Wahl zwischen C und D f¨ur D entscheiden. Die Tatsache, dass dies in Experimenten nicht notwendigerweise so ist, ist ein

Verstoß gegen die Pr¨amisse des Rationalverhaltens. Konkret verst¨oßt dieses Verhalten gegen das Axiom der Reflexivit¨at (vgl. Abschnitt 2.4.1 auf Seite 19): Wird 0, 33·u(2500)+0, 01·u(0) als Gut x1 und 0, 34·u(2400) als Gut x2 definiert, gilt n¨amlich sowohl x1 x2 als auch x1 x2, was o ensichtlich gegen das Reflexivit¨atsaxiom verst¨oßt.

Um dieses Ergebnis in Perspektive zu setzen, sind zwei Dinge von Bedeutung:

Rationalit¨at ist daran gebunden, dass das Individuum, dessen Entscheidungen betrachtet werden, eine Situation v¨ollig versteht – bzw. es der M¨uhe f¨ur wert erachtet, eine Situation v¨ollig zu verstehen. Die Unterschiede zwischen jeweils zwei Lotterien A und B bzw. C und D sind vielleicht schlicht zu gering – oder die Entscheidung zu kompliziert –, um hier jeweils eine zwar m¨ogliche, aber anstrengende genaue Bewertung vorzunehmen. Es entspricht jedenfalls der Alltagserfahrung, dass Entscheidungen zwischen zwei sehr engen Substituten oft zuf¨allig, d.h. ”ohne genaueres Nachdenken” getro en werden. Ist dieses Nachdenken anstrengend – und der damit verbundene Aufwand gr¨oßer als die bei nicht zuf¨alliger Entscheidung zu erwartende Nutzengewinn – so ist diese Unsch¨arfe bereits wieder rational.

Der hier unterstellte Rationalit¨atsbegri postuliert, dass unterschiedliche Entscheidungssituationen mit der jeweils gleichen Pr¨aferenzordnung entschieden werden. Dies ist zwar letztlich methodisch unumg¨anglich, da man sonst jedes Verhalten als mit Rationalverhalten kompatibel erkl¨aren k¨onnte. Allerdings ist es durchaus denkbar, dass ein und das gleiche Individuum mit relativ geringen Betr¨agen in einem begrenzten Umfang risikofreudig agiert, w¨ahrend das Verhalten auf Risikoaversion schließen l¨asst, wenn es um h¨ohere

¨

35

2.5. RATIONALITAT DER AKTEURE

Betr¨age geht. Anders l¨asst sich beispielsweise nicht erkl¨aren, dass viele Leute mehr oder regelm¨aßig Lotto spielen, was nur mit Risikofreude konsistent ist, eine sogar mehr als faire Lotterie aber ablehnen w¨urden, wenn dabei im schlechtesten Fall z.B. ihr Eigenheim verloren gehen k¨onnte – also Risikoaversion an den Tag legen.

2.5.3Beschr¨ankte Rationalit¨at

”I have the impression that [. . . ] the attempts to model bounded rationality have yet to find the right track. It is di cult to pinpoint any economic work not based on fully rational microeconomic behaviour that yields results as rich, deep, and interesting as those achieved by standard models assuming full rationality.”

(Ariel Rubinstein, 1998, p. 3)

Das Allais-Paradoxon ist eines von relativ vielen Beispielen, in denen in experimentellen Situationen (”experimental economics”) Verhalten beobachtet werden konnte, das nicht mit Rationalit¨at in Einklang gebracht werden kann. Von daher ist zun¨achst einmal zu konzedieren, dass Rationalit¨at eine Arbeitsannahme ist, die keinen Anspruch auf umfassende G¨ultigkeit f¨ur alle realen Situationen f¨ur sich in Anspruch nehmen kann. In diesem Abschnitt gehen wir kurz und eher beispielhaft auf drei E ekte ein, die bei der Modellierung beschr¨ankter Rationalit¨at eine Rolle spielen: Begrenzte und unterschiedliche F¨ahigkeiten von Spielern, Framing-E ekte und die Tendenz zur Vereinfachung von Entscheidungsproblemen.

Kognitive und analytische F¨ahigkeiten

Das vielleicht wichtigste Beispiel f¨ur eingeschr¨ankte Rationalit¨at ist die unterschiedliche F¨ahigkeit von Spielern, die in Rede stehenden strategischen Situationen zu durchschauen (analytische F¨ahigkeiten) und die daf¨ur relevante Information zu erfassen und zu verarbeiten (kognitive F¨ahigkeiten). Es gibt unterschiedlich geschickte Unterh¨andler, obgleich die Regeln einer Verhandlung f¨ur alle die gleichen sein m¨ogen. Ein noch frappierenderes Beispiel daf¨ur ist Schach. Dies ist ein spieltheoretisch h¨ochst ”langweiliges” Spiel, weil f¨ur beide Spieler die gleichen Regeln gelten, und diese Regeln allgemein bekannt und dar¨uber hinaus noch recht einfach sind. Insoweit haben also alle, denen die wenigen Regeln bekannt sind, ”eigentlich” die gleiche Chance. Es sind unterschiedliche F¨ahigkeiten im Umgang mit diesen Regeln, die verschiedene Spieler charakterisiert. Dies gilt nicht nur f¨ur die Unterscheidung guter und schlechter Spieler. Vielmehr sind bei den bereits (sehr) guten Spielern unterschiedliche (Spiel-) Charaktere und unterschiedlichen Tagesformen Aspekte, die das Spiel erst wirklich interessant machen.

¨

Man kann aus diesen Uberlegungen folgern, dass es generell w¨unschenswert w¨are, eine Spieltheorie zu formulieren, die diese Unterschiede zwischen

¨

36 KAPITEL 2. EINFUHRUNG: ELEMENTE DER SPIELTHEORIE

den Spielern zu ber¨ucksichtigen in der Lage ist. Dies ist zumindest derzeit praktisch nicht der Fall. Allenfalls einige grobe Kategorien wie unterschiedliche Risikoneigungen der Spieler lassen sich gut in die Annahme der unbeschr¨ankt g¨ultigen Rationalit¨at einpassen.

Framing-E ekte

Irrationalit¨at bzw. beschr¨ankte Rationalit¨at ist auch insoweit zu beobachten, als empirisch unterschiedlich auf Situationen reagiert wird, die zwar logisch identisch sind, aber in der genauen Formulierung gewisse Unterscheidungen aufweisen. Man spricht in diesem Zusammenhang von sog. framing e ects. Das Allais-Paradoxon war ein Beispiel daf¨ur. Es kommt dabei zu nicht mit der Annahme unbeschr¨ankter Rationalit¨at zu vereinbarenden Ergebnissen, wie das folgende Beispiel zeigt (Tversky/Kahnemann 1986). Wie schon beim AllaisParadoxon m¨ussen hier Individuen, deren Rationalit¨at hinterfragt wird, zwei mal zwischen jeweils zwei Alternativen entscheiden.

Entscheidung 1: Den Probanden wird klar gemacht, dass eine Seuche ohne jede Intervention 600 Tote fordern w¨urde und sie sich f¨ur eines (und nur f¨ur eines) der beiden Programme A und B entscheiden k¨onnen. Diese h¨atten die folgenden Konsequenzen:

A 200 von den 600 Menschenleben werden gerettet.

BMit einer Wahrscheinlichkeit von 1/3 werden alle 600 gerettet, mit einer Wahrscheinlichkeit von 2/3 wird niemand gerettet.

Entscheidung 2: Die Durchf¨uhrung von einem von zwei Programmen C und D ist unabdingbar notwendig und h¨atte die folgenden Auswirkungen;

C 400 Personen sterben.

D Mit einer Wahrscheinlichkeit von 1/3 wird niemand sterben, mit einer Wahrscheinlichkeit von 2/3 werden 600 sterben.

Der Erwartungswert betr¨agt in allen vier Situationen A, B, C und D 400

¨

Tote und damit 200 Uberlebende. Damit kommt es nat¨urlich auf die Bewertung der Unsicherheit (Risiken und Chancen) an, die in den Situationen B und D enthalten ist gegen¨uber der Sicherheit, die die Situationen A und B auszeichnet.

Kurzes Nachdenken sollte verdeutlichen, dass A und C sowie B und D identisch sind. Es sollte also erwartet werden, dass alle, die A gegen¨uber B pr¨aferieren, auch C gegen¨uber D pr¨aferieren (und vice versa).

Dennoch w¨ahlten in einem Laborexperiment 72% der Probanden in Entscheidung 1 das Programm A aus und 78% in Entscheidung 2 das Programm D

– was wiederum einen klaren Verstoß gegen das Rationalit¨atspostulat darstellt. Eine m¨ogliche Interpretation dieser empirischen Beobachtung besteht im Folgenden: Entscheidung 1 ist ”positiv” formuliert, d.h. es wird suggeriert,

¨

37

2.5. RATIONALITAT DER AKTEURE

dass es bei den Programmen um ”gewonnene Menschenleben” geht. Hier entscheiden die Testpersonen o enbar mehrheitlich risikoavers. Im Gegensatz dazu ist Entscheidung 2 negativ formuliert, d.h. es geht um Verluste. In diesem Fall sind die gleichen Testpersonen, die zuvor risikoavers waren pl¨otzlich risikofreudig. Es kommt also bei tats¨achlichen Entscheidungen nicht nur auf die objektiven Charakteristika der Alternativen an, sondern auch auf deren ”Verpackung”. Auch hier w¨are eine entsprechend allgemeine (Spiel-) Theorie, die solche Ph¨anomene ber¨ucksichtigen kann, w¨unschenswert. Allerdings ist derzeit eine solche Formulierung nicht in Sicht.

Vereinfachung von Entscheidungssituationen

In vielen Entscheidungssituationen werden nicht alle relevanten Alternativen wirklich ernsthaft erwogen, sondern es erfolgt von vorneherein eine Beschr¨ankung auf einige Alternativen, die nach irgendeiner Regel pr¨aselektiert werden. Beispiele daf¨ur gibt es sehr viele: Man geht in ein bestimmtes Restaurant, und ist damit auf die dort verf¨ugbare Speisenkarte beschr¨ankt; man schaut sich nur einige wenige ”in Frage kommende” Autos an, bevor man sich zum Kauf entschließt; man schaut sich nur einige wenige Fakult¨aten an, bevor man sich f¨ur einen bestimmten Studienort entscheidet.

Dieses Verhalten kann o ensichtlich ebenfalls zu Verletzungen der Rationalit¨atsannahme f¨uhren. Das folgende Beispiel soll dies illustrieren.

Ein (zugegebenermaßen etwas beschr¨anktes oder Beschr¨ankung suchendes) Individuum habe im Prinzip die Wahl zwischen drei Alternativen A, B und C und die Pr¨aferenzordnung B A C, kann aber nie mehr als zwei Angebote geistig verarbeiten. In einer ersten Entscheidung hat er die Wahl zwischen allen drei Alternativen, wird mit diesen aber in der Reihenfolge ACB konfrontiert. Die beschr¨ankten mentalen F¨ahigkeiten f¨uhren dazu, dass B erst gar nicht wahrgenommen, die Person entscheidet sich f¨ur A, weil A C. In einer zweiten Entscheidung stehen wirklich nur die Alternativen A und B zur Verf¨ugung, die – weil es nur zwei sind – beide wahrgenommen werden. Dieses Mal entscheidet sich die Person f¨ur B, weil B A. Die Beschr¨ankung des Entscheidungsraums auf zwei Alternativen f¨uhrt also zu einer anderen Entscheidung als in der Situation mit einem gr¨oßeren Entscheidungsraum. Dieses Verhalten ist irrational, da die Daumenregel ”Vergleiche nur die ersten beiden Alternativen” eine dem Rationalit¨atspostulat v¨ollig entsprechende Handlungsweise nicht zul¨asst. Nat¨urlich kann dieses Verhalten v¨ollig rational sein, wenn die Wahrnehmung und der Vergleich der verschiedenen Alternativen hinl¨anglich große Kosten verursacht. Allerdings gibt es in diesem Beispiel keinerlei Nutzen der Beschr¨ankung – was in der Realit¨at anders ist. Es kann beispielsweise durchaus rational sein, sich auf den Vergleich weniger Alternativen zu beschr¨anken, wenn die Evaluation zeitraubend oder schwierig und damit teuer ist. Jede(r) hat wahrscheinlich schon einmal etwas gekauft, das es ”irgendwo” vermutlich billiger gibt. Die Vernachl¨assigung dieser Alternative(n) ist ratio-

¨

38 KAPITEL 2. EINFUHRUNG: ELEMENTE DER SPIELTHEORIE

nal, wenn die Suchkosten die erwartete Ersparnis ubersteigen¨.

Und nun?

Die kurze Diskussion zeigt, wie beschr¨ankte Rationalit¨at in der Realit¨at ohne Zweifel eine gewichtige Rolle spielen kann. Allerdings ist der theoretische Umgang mit beschr¨ankt rationalem Verhalten derzeit bestenfalls rudiment¨ar – wie schon die Beispiele zeigen. Zumindest bis heute gibt es daher schlicht keine brauchbare Alternative zum Rationalit¨atspostulat. Daher wird dieses Postulat eine der zahlreichen Abstraktionen sein, die in den Modellen auch dieser Veranstaltung benutzt werden. Allerdings ist diese Abstraktion auch eine der n¨utzlichsten in den Wirtschaftswissenschaften. Fast alle Lehrb¨ucher der Spieltheorie nehmen diese Annahme ubrigens¨ als so selbstverst¨andlich hin, dass sie noch nicht einmal thematisiert wird.

Bei weiterem Interesse an diesem Gegenstand seien folgende Leseempfehlungen gegeben: Eine recht ausf¨uhrliche philosophische Diskussion des Rationalit¨atsbegri im Kontext der Spieltheorie bietet das erste Kapitel in Hargreaves Heap/Varoufakis (1995). Rubinstein (1998), dem auch das Motto dieses

¨

Abschnitts entnommen ist, gibt einen durchaus noch aktuellen Uberblick uber¨ Vorgehensweise und Probleme der Modellierung beschr¨ankter Rationalit¨at.

2.6Alternative Darstellungen von Spielen

Nachdem nun anhand einiger Beispiele die Vorgehensweise der Spieltheorie gezeigt und deren nutzentheoretischer Hintergrund er¨ortert wurde, geht es in diesem und dem n¨achsten Abschnitt um Darstellungen 2.6 und L¨osungsmethoden 2.7 von Spielen.

Bei den verschiedenen Darstellungsweisen geht es insb. um die genaue Informationsmengen, die uber¨ ein Spiel zur Verf¨ugung gestellt werden. Man unterscheidet hierbei

Extensive Form

Normalform

Koalitionsform

2.6.1Extensive Form

Allgemeine Charakterisierung

Die extensive Form liefert die umfassendsten Information uber¨ ein Spiel und dessen Verlauf. Im Einzelnen geh¨oren dazu Informationen uber¨

a) die Menge der Spieler,

Соседние файлы в предмете [НЕСОРТИРОВАННОЕ]