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7.1 Zum Problem der Satzdefinition: zwei Grundtendenzen der Satzdefinition

John Ries hat in seiner Schrift „Was ist ein Satz?" 140 Satzdefinitionen zusammengestellt, die in der Grammatikforschung einander ablцsten oder gleichzeitig in Umlauf waren. Diese Sammlung ist von Seidel um weitere 83 Definitionen erweitert worden, so dass die Zahl der wichtigsten Satzdefinitionen schon im Jahre 1935 auf ьber 220 angewachsen war [209, 234].

Wenn man aber berьcksichtigt, dass sich unter den zusammengestellten Satzdefinitionen viele fast gleich lautende Definitionen befinden und dass nicht selten verschiedene Formulierungen auf dasselbe hinauslaufen und ein Tribut des abgewandelten Systems linguistischer Termini sind, so lassen sich in der Geschichte der Syntaxforschung zwei Grundtendenzen verfolgen. Die eine Tendenz besteht darin, dass der Satz, wenn sich die Satzdefinition auf die Begriffe der Logik oder auf die Psychologie des Denkens und die Rede-psychologie stьtzt, hauptsдchlich von der denkinhaltlichen und funktionalen Seite her bestimmt wird. Die entgegengesetzte Tendenz ist durch das Bestreben gekennzeichnet, sдmtliche „auЯersprachlichen" Charakteristiken des Satzes auszuklammern und eine strenge innersprachliche Definition «es Satzes auf Grund seiner Strukturzьge zu geben.

Die erste Tendenz findet ihren Ausdruck sowohl in der sog. logischen Satztheorie als auch in der psychologischen Satzlehre, die sich allmдhlich zur kommunikativen Satztheorie entwickelt.

Die Jogische Satztheorie betrachtet den Satz als Ausdruck des logischen Urteils. Sie geht auf die antike Grammatik zurьck, insbesondere auf die Lehre von Aristoteles, wird spдter in der rationellen universellen Grammatik von Port-Royal (1660) erneuert: „Das Urteil, das wir ьber die Dinge fдllen, wie zum Beispiel, wenn ich sage, ,die Erde ist rund', nennt man Satz" [199];

(Ьbers, der Verfasserin). Auf deutschem Boden wurde sie von K. F. Becker entwickelt: „Der Ausdruck eines Gedankens, d. h. eines prдdizierenden Urteils wird ein Satz genannt [22]. Дhnlich nach ihm [28, II, 269, /, auch: Engelienu. a. Mit diesen Definitionen wurde die kognitive Funktion des Satzes richtig erfasst, und die moderne syntaktische Semantik entwickelt die Lehre von der logisch-semantischen Grundlage einer ДuЯerung weiter. Der logischen Schule wurde von ihren Gegnern, vor allem von den Anhдngern der psychologischen Satztheorie (s. u.) in erster Linie vorgeworfen, dass die Definition des Satzes als Ausdruck des logischen Urteils zu allgemein sei und dass die Regeln der klassischen Logik zu eng fьr die Vielfalt und den Reichtum der reellen Satzgestaltung seien. Beide Vorwьrfe waren berechtigt, da die klassische logische Satzlehre zu einseitig an den Satz heranging.

Die psychologische Satztheorie, die seit den 70er- Jahren des 19. Jahrhunderts weite Verbreitung fand, strebte vor allem danach, die starren Regeln der klassischen Logik durch die ErschlieЯung der Psychologie des Denkens und des Sprechens zu ersetzen und in der Satzdefinition diese psychologischen Prozesse widerzuspiegeln. Innerhalb der psychologischen Forschungsrichtung wurden zwei verschiedene Modelle der Psychologie der Satzgestaltung vorgeschlagen. Das eine Modell, entwickelt von Hermann Paul auf Grand der psychologischen Assoziationstheorie, erklдrte den Satz als sprachlichen Ausdruck der Verbindung zweier Vorstellungen in der Seele des Sprechenden: „Der Satz ist der sprachliche Ausdruck, das Symbol dafьr, daЯ die Verbindung mehrerer Vorstellungen oder Vorstellungsmassen in der Seele des Sprechenden sich vollzogen hat, und das Mittel dazu, die nämliche Verbindung der nämlichen Vorstellungen in der Seele des Hörenden zu erzeugen" [191, Ш]. Das andere Modell, vorgeschlagen von Wilhelm Wundt, dem Begründer der Apperzeptionstheorie in der Psychologie. deutete den Satz als das Ergebnis der Aufgliederung eines im Bewusstsein vorhandenen Ganzen in seine Teile: „Der Satz ist der sprachliche Ausdruck fьr die willkьrliche Gliederung einer Gesamtvorstellung in ihre in logische Beziehung zueinander gesetzten Bestandteile" [291, //]. Wenn wir den von der modernen Psycholinguistik lдngst ьberholten Streit ьber den Charakter der psychischen Vorgдnge, die dem Sprechakt zugrunde liegen, beiseite lassen, bleibt an der Satzdefinition Pauls das Bemerkenswerte, dass sie zum ersten Mal in der Geschichte der Syntaxforschung den kommunikativen Charakter des Satzes hervorhob und die Notwendigkeit der Berьcksichtigung von Sprecher und Hцrer fьr das Verstдndnis des Wesens eines Satzes betonte. Diese Satzdefinition sowie Pauls Lehre vom psychologischen Subjekt und vom psychologischen Prдdikat (s. u. S. 254 f.) waren die ersten Ansдtze zur Entwicklung der kommunikativen Satztheorie, wie sie uns, befreit vom Psychologismus, spдter in den Schriften des tschechischen Sprachforschers Mathesius, der deutschen Sprachforscher Drach, Boost und vieler moderner Sprachforscher entgegentritt, Mit der Entwicklung der kommunikativen Satztheorie wurde auch die kommunikative Funktion des Satzes erschlossen,

In der deutschen Grammatik ist heute die Bestimmung des Satzes als eine kommunikative Einheit sehr verbreitet. So bestimmen zum Beispiel Schmidt und Erben den Satz als die „kleinste relativ selbstдndige Redeeinheit", und sie weisen beide auf den kommunikativen Charakter der Rede hin. Vgl. Schmidt: „Unter Rede verstehen wir jede Anwendung sprachlicher Mittel zum Zwecke der gesellschaftlichen Kommunikation" [221]. Wir bringen noch einige дhnliche Satzdefinitionen. „Die Syntax befaЯt sich mit dem Aufbau der zusammenhдngenden Rede, wie sie im KommunikationsprozeЯ auftritt, also mit dem Satz, der Haupteinheit dieses Prozesses, mit den Wortgruppen und mit den Formmitteln, die zur Bildung der Sдtze und Wortgruppeu dienen" [2]. „Der Satz ist eine kommunikative Redeeinheit, mit deren Hilfe der Sprecher auf dem Hцrer etwas mitzuteilen vermag" [99]; s. auch: [238, 150]. Die zweite Tendenz in der Satzforschung beruht auf dem Bestreben, die inhaltlichen Kriterien als „auЯersprachlich" beiseite zu schieben und nach „innersprachlichen", streng foraialgrammatischen, strukturbezogenen Kriterien zu suchen. Die дlteren Generationen der Sprachforscher sahen das formelle Merkmal des Satzes in der finiten Verbalform. Ammann schreibt: „Eine Wortverbindung ohne Verb. fin. kann im Deutschen keinen vollstдndigen Satz darstellen." Vgl. auch Jung: „Der Satz ist eine durch das Verb gestaltete, grammatisch gegliederte Einheit" [137]. Dieses Merkmal kennzeichnet aber nur den regelmдЯigen zweigliedrigen Satz (Vater schlдft. Wir gelten baden. Heute ist Sonntag.), ohne dem eingliedrigen Satz (Feuerl Aufstehen1. Ja. Nein. Weg damitl) und den Sдtzen mit idiomatischer syntaktischer Struktur (Und ob\ Ich ein Lьgner! Sie und heiraten? u. Д.) Rechnung zu tragen.

Bereits Delbrьck hat auf ein anderes formelles Kriterium fьr die Ausgliederung des Satzes aus dem Redestrom hingewiesen, nдmlich auf die Stimmfьhrung und Pausierang: „Von seiten einer Form betrachtet: dasjenige, was von zwei Pausen eingeschlossen дst" [48, 111]. Dieses Merkmal wird auch von Glinz in den Vordergrund gestellt. Vgl. seine Definition des Satzes als „die Einheit des stimmlichen Hinsetzens, das in einem Zuge und unter einem Atem hervorgebrachte sprachliche Gebilde" [81]. Diese Satzdefinitionen geben das wesentlichste Charakteristikum der grammatischen Form des Satzes, da die Stimmfьhrung als Gestaltungsmittel des Satzes gewiss zu den grammatischen Formmitteln der Syntax gehцrt. Sie sagen aber nichts ьber das Wesen des Satzes und seine besondere Leistimg im Vergleich zu den anderen Grundeinheiten der Sprache.

Ries war einer der ersten deutschen Grammatikforscher, der bei der Satzdefinition Inhalt und Form berьcksichtigte. Ries betont vor allem die grammatische Formung des Satzes, deren Zweck es ist, den Bezug des Ausgesagten zur Wirklichkeit auszudrьcken. Wir bringen Ries' Satzdefmition: »Ein Satz ist eine grammatisch geformte kleinste Redeeinheit, die ihren Inhalt im Hinblick auf sein Verhдltnis zur Wirklichkeit zum Ausdruck bringt" [209]. Diese Definition war ein Ansatz zur Entwicklung der Lehre von der Kategorie der Prдdikativitдt (s. S. 220).