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Gesamtwerk Mensch Alltag an einer Waldorfschule in Hamburg

Die Waldorfschule in Hamburg – Nienstedten ist eine von 150 Schulen in Deutschland, die nach den Prinzipen Rudolf Steiners arbeiten. Hier zählt nicht nur die intellektuelle Entwicklung, sondern die emotionale, soziale und künstlerisch – musische Entwicklung der Kinder steht im Vordergrund.

Das an staatlichen Schulen anfalls in Projektwochen innen des Unterrichts ist, gehört der Rudolf Steiner´s Schule in Nienstedten zum Alltag. Knapp 500 Schüler werden an der Elbchaussee nach den Grundsätzen der Waldorf-Pädagogik unterrichtet. „Nicht gefragt werden soll: Was braucht der Mensch zu wissen und zu können für die soziale Ordnung? Sondern: Was ist im Menschen veranlagt und was kann in ihm entwickelt werden?“, formulierte Steiner bereits 1919, als die erste seiner Schulen in Stuttgart gegründet wurde.

„Wir bringen den Kindern von Beginn an bei, dass Menschen verschiedene Fähigkeiten haben. Sie sollen lernen, mit den Stärken und Schwächen des anderen umzugehen“, erklärt Stefan Ehrsam (34), seit sieben Jahren Lehrer an der Nienstedtener Waldorfschule. Er gehört zu jenen Klassenlehrern, die ihre Schüler von der ersten bis zur achten Klasse im sogenannten „Epochenunterricht“ durchgängig unterrichten. Ein „Sitzenbleiben“ gibt es nicht. „Wir haben natürlich Kinder, die vom Intelligenzgrad nicht mit ihren Mitschülern mithalten können“, sagt Ehrsam. „Die haben statt dessen vielleicht ein außergewöhnliches Gespür für die Malerei oder für Holzarbeiten. Diese Kinder werden jedenfalls nicht von vornherein für dumm erklärt.“ Es ergebe sich immer die Möglichkeit, von den Mitschülern „mitgenommen“ zu werden. „Oft macht es dann in der Oberstufe ‚klick‘ und ein vermeintlich unintelligenter Schüler bekommt einen gewaltigen Entwicklungsschub.“

Dabei beginnt die Schullaufbahn zunächst eher spielerisch. Farben, Formen und das „Begreifen“ im wörtlichen Sinne stehen zunächst im Vordergrund. Schulbücher kommen erst vergleichsweise spät zum Einsatz. Die Schultage werden nicht durch Unterrichtsstunden zerteilt, sondern gliedern sich in drei- bis vierwöchige „Epochen“, in denen verschiedene „Lebensgebiete“ vertieft behandelt werden. In der Unter- und Mittelstufe sind das Rechnen, Grammatik, Tier- und Pflanzenkunde, Geschichte, Physik und Chemie. Alle Fächer werden von einem Klassenlehrer abgedeckt. Erst in der Oberstufe, ab der neunten Klasse, unterrichten Fachlehrer in den verschiedenen Epochen in Deutsch, Poetik, Geschichte, Kunstgeschichte, Geographie, Biologie, Chemie, Mathematik und Physik. Englisch und Französisch werden schon von der ersten Klasse an gelehrt. So müssen insbesondere die Klassenlehrer Generalisten sein. Ein bestimmter Ausbildungsweg ist nicht vorgeschrieben. „Die meisten von uns haben ein Hochschulstudium absolviert, andere Kollegen hatten eine handwerkliche Ausbildung“, erklärt Stefan Ehrsam. Allerdings absolvierten alle Lehrkräfte ein zum Teil mehrjähriges Waldorf – Lehrerseminar. „Man muss seinen Beruf von ganzem Herzen ausüben wollen“, sagt Ehrsam. Freizeit bleibt kaum, auch an den Nachmittagen und an den Sonnabenden wird Unterricht gegeben. Dazu sind die Schulen selbstverwaltet, anstelle des Schulleiters steht ein Leitungsgremium.

Das Erziehungskonzept der Waldorfschulen findet bei den Eltern großen Anklang. „Die Kinder bekommen soviel Zeit, wie sie für ihre Entwicklung brauchen“, meint Evi Pfefferle, Mutter von drei Kindern, die beiden Ältesten (12 und 14 Jahre) besuchen die Steiner - Schule an der Elbchaussee. Dafür ist sie auch bereit zu zahlen. Der Richtsatz liegt dabei derzeit bei 320 Euro pro Monat für das erste Kind, 55 für das zweite und 50 Euro für das dritte Kind. Für einkommensschwache Familien sind jedoch Ermäßigungen möglich. „Das machen andere Eltern möglich, die freiwillig etwas mehr bezahlen“, sagt Lehrer Hanno Wember. Ohnehin fordert die Schule den Eltern einiges mehr ab als staatliche Schulen. So werden pädagogische Wochenende veranstaltet, bei denen Eltern und Lehrer an den verschiedensten Problemen arbeiten. Aber auch praktische Hilfe ist erwünscht, in Nienstedten wurde vor kurzem in einer Gemeinschaftsarbeit von Schülern, Lehrern und Eltern die Cafeteria renoviert.

„Durch solche Aktionen bekommen die Schüler auch eine andere Einstellung zu ihrer Schule“, sagt Hanno Wember. „Wer etwas aufgebaut hat, zerstört es nicht.“ Im Vergleich zu anderen Bildungseinrichtungen seien die durch Vandalismus angerichteten Schäden äußerst gering. Zudem erschließe die Arbeit mit den Händen auch den Zusammenhang für das Ganze. Zum künstlerisch – handwerklichen Unterricht zählen deshalb unter anderem Gartenbau, Kupfertreiben, Buchbinden und Korbflechten. Hanno Wember: „Ein Schüler, der einen Korb geflochten hat, lernt, dass man nur mit Konsequenz und nach einem bestimmten Schema etwas zu Ende führen kann.“ Besonders hilfreich sei das beispielsweise im Mathematikunterricht.

Dennoch gebe es auch Reibungspunkte. „Schüler fragen uns manchmal, warum sie, im Gegensatz zu ihren Altersgenossen auf den staatlichen Schulen, keine Noten bekommen“, erzählt Stefan Ehrsam. So etwas sei doch viel deutlicher, um die eigene Leistung besser einzuschätzen. Das wiederum verstehen die Mitschüler nicht. „Sie finden die von uns angefertigten Berichte besser. Denn da steht ja wörtlich drin, was uns an den Arbeiten aufgefallen ist.“ Schwierig werde es zuweilen, wenn das Abitur naht. Rund ein Drittel der Schüler meldet sich dafür an, nachdem einige nach der zehnten Klasse die Steiner- Schule mit dem Hauptschulabschluss und etwa die Hälfte nach der zwölften Klasse mit dem Realschulabschluß ins Berufsleben gestartet sind.

Das Abitur darf nicht von den Waldorf-Lehrern abgeprüft werden, sondern nur von Vertretern der Schulbehörde. Dann müssen sich die Schüler mit dem Notensystem auseinandersetzen und sich andere Formen des Lernens aneignen. „Wir können mit den Ergebnissen trotzdem sehr zufrieden sein“, findet Stefan Ehrsam.

Sind Waldorfschulen die bessere Alternative zu den staatlichen Schulen? „Nein, wir sind nicht besser“, antwortet Hanno Wember. „Wir sind anders.“