Добавил:
Upload Опубликованный материал нарушает ваши авторские права? Сообщите нам.
Вуз: Предмет: Файл:
Sowinski-Deutsche_Stilistik.doc
Скачиваний:
143
Добавлен:
20.09.2019
Размер:
1.43 Mб
Скачать

Stilistische Prinzipien und Möglichkeiten der Textgestaltung

Zum Begriff des Textes

Die Grundlage jeder Stilistik ist die geformte Sprache in einem größeren Aus-druckszusarnmenhang. Eine Zitatsammlung aus den verschiedensten Werken eines Autors bietet kaum geeignetes Material für eine Stiluntersuchung, weil hier die für die Stilerfassung notwendige Einheit des Untersuchungsrnaterials nicht gegeben ist. Sprachlicher Stil, ganz gleich welchen Stilbegriff wir zugrunde legen, offenbart sich nur in geschlossenen Texten. Das sehließt nicht aus, daß auch aus einzelnen Zitaten oder Sätzen der Stil eines Autors wiedererkannt werden kann. Der jeweilige Stilkenner wird wahrscheinlich leicht sagen können, ob ein vorgelegter Einzelsatz von Lichtenberg, Kleist, Heine oder Thomas Mann stammen könnte. Er vermag dies jedoch erst dann, wenn er die Stileigenheiten dieser Autoren an größeren Texten studiert hat. Die Gestaltung eines Textes wird durch recht unterschiedliche Faktoren bestimmt. Informationszweck, Gattungsform, Bilderwahl, Reflexionstendenzen u. dgl. spielen hier ebenso eine Rolle wie die Darstellungsmoden der jeweiligen Zeit, die Vorlieben und die Diktion des Autors, die Wünsche seines Publikums usw. Nicht zuletzt kommen hier auch stilistische Faktoren zur Geltung, die auf allgemeinen stilistischen Erfordernissen und Möglichkeiten wie auf den individuellen und gattungsmäßigen Eigenarten beruhen. Textgestaltung ist somit auch Stilgestaltung, die Struktur und Gestaltungsprinzipien eines Textes gehören damit zum Forschungsbereich der Stilistik. Soweit es sich um dichterische Texte handelt, nimmt sich die Literaturwissenschaft dieses Aufgabenkomplexes an; die Gestaltungsprinzipien anderer Texte wurden bisher nur wenig untersucht; in der Aufsatzlehre der Schulen finden sich hierin nur einige Ansätze. Weitere Klärungen sind unbedingt erforderlich.

Die Entwicklung einer stilistischen Textforschung setzt die Bestimmung des Textbegriffs voraus. Legt man dabei die Erkenntnisse der bisherigen Textlinguistik zugrunde1, die sich der vom taxonomischen Strukturalismus ausgehenden Begrenzung linguistischer Untersuchungen auf den Satz als der größten linguistischen Einheit2 widersetzt, so müßte man in einem Text die satzübergreifenden sprachlichen Aussagen mit einer verhältnismäßig einheitlichen Formenstruktur verstehen, die ähnlich wie die Formenstruktur des Satzes bestimmten, noch zu erforschenden Regularitäten unterliegt. Eine solche Textauffassung entspricht der etymologischen Herleitung des Wortes »Text« aus dem lat. »textus«, das wiederum auf das Verbum »texere« = weben (vgl. »Textilien«) zurückgeht.3 Ein zusammenhängender Text kann so - ähnlich dem gewebten Tuch - als eine Art sprachliches Struk-

31

turgebilde betrachtet werden, dem bestimmte Verknüpfungsregeln zugrunde liegen, die bei der Formulierung eines Textes wirksam werden. Dabei dürften sowohl textgrammatische wie stilistische Regeln eine Rolle spielen.

Neben solchen sprachlichen Struktureigenarten ist der Text vor allem als inhaltliche Einheit anzusehen. Man kann diese Einheit als Einheit des Informationszusammenhanges betrachten. Wir verstehen darunter eine bestimmte Sach- oder Vorgangsbezogenheit der Aussagen, durch die die einzelnen Aussagen (Sätze) miteinander in Verbindung stehen, kohärent sind4. Texte können so aus Einzelinformationen bestehen, die nur eine einzige Vorstellung umfassen (z.B. »Es brennt!« und diese in einem Einzelwort (»Feuer!«) oder einem kurzen Satz (»Es brennt dort«) oder in längeren Gebilden zum Ausdruck bringen.

Der Vorgang der Umsetzung einer Information in eine sprachliche Form wird häufig als Enkodierung bezeichnet. Der Sprecher benutzt also für seine Mitteilung einen bestimmten sprachlichen Code, der durch die Erfordernisse des jeweiligen Sprachsystems (langue), aber auch durch die individuellen und situativen Gegebenheiten der Rede (parole) geprägt ist. Meistens haben wir es beim Vorgang der Enkodierung mit kürzeren oder längeren Informationsganzheiten zu tun, die wenige oder viele Einzelinformationen zu Informationsketten oder Informationssummen zusammenfassen und in einem Text vereinigen (z.B. den Gegenstand, die Ursachen, Ort, Zeit und Verlauf eines Brandes). Texte können auf diese Weise informationsreich oder informationsarm sein. Ob der jeweilige Autor Informationen in aller Kürze oder in ziemlicher Breite vermittelt, wird vom Darstellungszweck und der Darstellungsform seiner Mitteilung abhängen, aber auch von seinen stilistischen Neigungen zur Kürze oder Breite der Aussage. Sie sind auch mitbestimmend, wenn es darum geht, ob er mehrere Informationen in einem Satz zusammenfaßt (z.B. Aus hisher noch nicht geklärter Ursache entstand gestern mittag ein Feuer in einer chemischen Fabrik in der Flußstraße, das erst nach einer Stunde gelöscht werden konnte und einen Sachschaden von 500 000 DM anrichtete) oder dafür mehrere Sätze wählt (z.B. Gestern mittag brannte es in einer chemischen Fabrik in der Flußstraße. Das Feuer konnte erst nach einer Stunde gelöscht werden. Es entstand ein Sachschaden von 500 000 DM), ob er die Einzelheiten möglichst nüchtern registriert (wie in unseren Beispielsätzen) oder durch Hinzunahme weiterer Informationen und entsprechender Umgestaltungen szenisch ausmalt und dramatisch zu steigern sucht (z.B. Schaurig heulten gestern mittag Sirenen über das Fabrikgelände an der Flußstraße. Dicke Rauchschwaden markierten weithin sichtbar die Ursache dieses Alarms, einen Großbrand in einer chemischen Fabrik . . . usw.).

Bestimmte semantische (inhaltlich-bedeutungssmäßige), strukturell-linguistische (stilistische) und schließlich auch optische oder akustische Signale informieren uns darüber, wie weit ein Text reicht, wo er anfängt und endet.

Die inhaltlich-seniantische Abgrenzung ist vor allem durch den Informationszusammenhang bestimmt. Nur die Informationen, die inhaltlich und funktional zusammen gehören und in besonderer Weise einheitlich geprägt sind, können einen Text bilden. Darunter fallen einzelne Sätze (z.B.

32

Bildunterschriften, Werbetexte, Hinweistafeln) ebenso wie ganze Bücher oder schriftstellerische Werke in mehreren Bänden. Wo jedoch sachlich verschiedene Werke, auch wenn sie von einem Amor stammen, vorliegen oder wo sich mehrere Autoren zum gleichen Thema in unterschiedlicher Weise äußern, werden wir nicht mehr von einem Text, sondern von »Texten« sprechen. Die Vielfalt der Möglichkeiten des Umfangs wie des Inhalts erlaubt es uns, das Wort »Text« oft nur als einen Sammelbegriff zu verstehen, der zu seiner näheren Festlegung weiterer Hinweise bedarf, wie sie etwa in Wendungen wie »Der Text dieses Buches, dieses Abschnittes zu diesem Bild, des Kommuniqués« usw. gegeben sind. Aber auch nach solchen Festlegungen bleibt der »Text« weiterhin eine schwer faßliche Einheit. Eine romanhaft erzählte Lebensgeschichte einer Familie und besonders eines Kindes und die lehrbuchhafte Krankheitsbeschreibung desTyphus sind, inhaltlich und zumeist auch funktional gesehen, zwei völlig verschiedene Texte - und doch kombiniert sie Thomas Mann im Roman »Buddenbrooks« miteinander, um den Tod des kleinen Hanno Buddenbrook drastischer zu veranschaulichen.5 Der Lehrbuchauszug über den Typhus bildet hier mit dem übrigen Roman eine funktionale Einheit, gehört so zum Text des Romans, obwohl er inhaltlich und strukturell als eigener Text angesehen werden kann, der auch in einem anderen funktionalen Stil abgefaßt ist. Die moderne Literatur bietet zahlreiche Beispiele für derartige Montagetechniken, die die Bestimmung eines Texten als einheitliches, inhaltliches und formales Ganzes erschweren. Es ergibt sich allerdings bei allen größeren Sprachwerken die Frage, ob wir es hier mit faßbaren Texteinheiten oder mit Konglomeraten aus verschiedenen Textformen (z.B. Berichten, Schilderungen, Briefen usw.) zu tun haben (vgl. S. 280ff.).

Auch eine strukturbetonende Fassung des Textbegriffs, wie sie vor allem von der neueren Textlinguistik angestrebt wird, die im Text ein »Determinations-gefüge« sieht, »dessen Teile solidarisch sind«6, begegnet bei solchen Text- und Strukturmischungen gewissen Schwierigkeiten. Trotzdem wird man an der Auffassung des Textes als einer strukturellen Einheit festhalten müssen. Diese Auffassung kann sowohl inhaltlich wie formal verstanden werden. Zur inhaltlichen Struktur des Textes (als Zusammenhang mehrerer Sätze) bemerkt H. Weinrich:

»Ein Text ist offenbar eine Ganzheit, in der alles aufeinander bezogen ist. Die Sätze folgen in einer sinnvollen Ordnung so aufeinander, daß jeder verstandene Satz zum sinnvollen Verständnis des folgenden Satzes beiträgt. Andererseits wirkt der folgende Satz nun, wenn er seinerseits verstanden ist, wieder auf das Verständnis des vorhergehenden Satzes zurück, so daß man ihn zurückdenkend noch besser versteht. So verstehen wir einen Text. Jeder Satz ist also insofern jedem anderen Satz untergeordnet, als er nicht nur selber verstanden werden, sondern auch zum Verständnis aller anderen Sätze beitragen will. Das zeigt nur, daß nicht nur der einzelne Satz, sondern auch der ganze Text ein Determinationsgefüge ist, dessen Teile solidarisch sind.« 7

Zum besseren Verständnis der Textvorstellung untersuchen wir ein Sprachbeispiel:

33

Mit dem Brief kam neue Hoffnung. Vom Rückgang im Formengebrauch ist auch der Konjunktiv betroffen. Die damit zusammenhängenden Einnahmen sind an den Bund abzuführen. Die Stadt, kurz vor Herbst noch in Glut getaucht, nach dem kühlen Regensommer dieses Jahres, atmete heftiger als sonst.8

Niemand wird diese vier verschiedenen Sätze als einTextkontinuum ansehen. Vergeblich sucht man hier nach dem Zusammenhang. Weder in ihrer inhaltlichen Aussage noch im Tempus noch in der Reihenfolge der Informationen passen sie zueinander. Wir können lediglich vermuten, daß der erste und der letzte Satz bestimmten, voneinander verschiedenen Schilderungen angehören (Brief: Stadt), daß der zweite Satz aus einem grammatischen oder sprachgeschichtlichen Text stammt und der dritte aus einem Gesetzestext oder ähnlichem entnommen ist. Dafür sprechen verschiedene Anzeichen: die Benutzung des »Erzähltempus«9, des Präteritums, im ersten und vierten Satz, die Verbindung eines Abstraktums mit einem »konkreten« Vorgangsverb im ersten Satz, die Personifikation eines Kollektivbegriffs (Stadt - atmete) sowie die metaphorische Kennzeichnung der optischen Erscheinung (in Glut getaucht) im vierten Satz, die Benutzung zweier linguistischer Fachtermini (Formengebrauch, Konjunktiv) sowie das »Tempus der Feststellung« im zweiten Satz und schließlich die Umschreibung eines Imperativs durch eine finale Infinitivkonstruktion und die staatsrechtlichen und finanztechnischen Termini (Einnahmen, Bund) im dritten Satz. Alle vier Sätze enthalten zudem semantische oder grammatische Hinweise auf andere Textzusammenhänge, die den Satzbeispielen vorangehen (auch, damit zusammenhängenden) oder, soweit es sich um Erzählanfänge handelt, aus dem späteren Kontext erläutert werden (dem Brief, die Stadt, dieses Jahres), also nicht allein stehen können.10 Derlei Hinweise stellen Erinnerungs- bzw. Erwartungshilfen dar, die den Hörer oder Leser auf einen Textzusammenhang verweisen sollen.

Aus diesen Beobachtungen ergibt sich als erste Bedingung eines Textes die Wahrung des inhaltlichen Zusammenhangs (der semantischen Kohärenz) aller Textpartien. Eine Charakterisierung des Textes als bloße Folge von Sätzen oder gar als »langer Satz«11 genügt nicht. Der inhaltliche Zusammenhang kann als Einheit eines Sachzusammenhangs, einer Vorgangs- oder Handlungseinheit mit entsprechender Erzählfolge (Sequenz) und Tempuseinheit gewahrt bleiben, er kann jedoch auch durch das Gefüge der Gattung garantiert sein. Eine Schilderung von Beobachtungen etwa oder ein persönlicher Brief können durchaus scheinbar unzusammenhängende Einzelheiten aufzähend aneinanderreihen; die Einheit des Textes wird dabei durch einleitende oder abschließende Hinweise gewährleistet. Auch in der Dichtung finden sich solche Verbindungen. In J. P. Hebels Erzählung »Unverhofftes Wiedersehen« z.B. verabschiedet sich ein junger Bergmann an einem Morgen von seiner Braut, geht zur Grube, kehrt aber nie zurück. Zwischen diese Schilderung, und die Wiederentdeckung nach fünfzig Jahren fügt der Dichter eine Aufzählung welthistorischer wie alltäglicher Ereignisse ein, die - mit der Konjunktion »unterdessen« eingeleitet - den Zeitverlauf charakterisieren und die Beständigkeit der Liebe der Braut unterstreichen. Dieses »unter-

34

dessen bietet die kontextuale Verknüpfung mit dem Vorangehenden, schafft aber zugleich auch die Voraussetzung für den folgenden Text.

Der inhaltlich-sachliche Zusammenhang allein reicht jedoch nicht aus, um einen Text zu konstituieren. Das folgende Beispiel macht dies deutlich:

Der Mais stand regungslos; über der freien, glänzenden Landschaft lag eine unbeschreibliche Stille; von den Gipfe1n der fernen Berge stiegen Morgenwolken wie stille Rauchwolken gegen den leuchtenden Himmel und zwischen Baumgruppen, die aussahen wie gewaschen, glänzten Landhäuser und Kirchen her. Den 22. Juli 1848, vor 6 Uhr morgens, verließ ein Strafkommando, die zweite Eskadron von Wallmodenkürassieren, Rittmeister Baron Rofrano mit hundertsieben Reitern, das Kasino San Alessandro und ritt gegen Mailand. Kaum hatte das Streifkommando die äußerste Vorpostenlinie der eigenen Armee etwa um eine Meile hinter sich gelassen, als zwischen den Maisfeldern Waffen aufblitzten und die Avantgarde feindliche Fußtruppen meldete. 12

Die Sätze gehören offenbar zusammen: im ersten und zweiten Satz ist vom Morgen die Rede, im ersten und dritten Satz von Maisfeldern und Baumgruppen; der zweite und dritte bilden sogar einen Handlungszusammenhang. Der Text offenbart jedoch dem aufmerksamen Leser mehrere Brüche in der semantischen und stilistischen Kohärenz, obgleich es sich hier um die ersten drei Sätze eines Textes, nämlich Hugo von Hofmannsthals »Reitergeschichte« handelt. - Allerdings haben wir einige Umstellungen vorgenommen.

Die auffallendste Diskrepanz besteht zwischen dem ersten und zweiten Satz. Zwar ist eine Novelleneinleitung durch eine Landschaftsschilderung nichts Ungewöhnliches. Störend wirken jedoch die genaue Zeitangabe und Angabe der Umstände im berichtenden zweiten Satz.

Worauf ist dieser Eindruck zurückzuführen? Es mag sein, daß wir auch hier, durch die hinweisende (deiktische) Wirkung des einleitenden über der . . . Landschaft veranlaßt, einen vorangehenden oder nachfolgenden Hinweis auf diese Landschaft vermissen, den die Ortsangabe des zweiten Satzes nicht bietet. Vergleiche mit anderen Texten zeigen uns jedoch, daß auch in ähnlichen Fällen die genaue Zeitangabe häufig vorangeht, sofern sie nicht in einem temporalen Nebensatz unmittelbar angeschlossen wird (z.B. Es läuteten gerade die Domglocken, als ich am 10. Juli in Köln ankam). Vielleicht hängt es auch damit zusammen, daß bei Kombinationen von berichtenden und schildernden Ausdrucksweisen die berichtende der schildernden meistend vorangeht. Die szenische Verbreiterung, die hier durch die Landschaftsschilderung geleistet wird, setzt den einführenden Berichtssatz voraus. In Hofmannsthals Text steht dann auch unser zweiter Satz mit der präzisen Zeitangabe zuerst. Die Schilderung der Natur bezieht sich dann auf die Szene um San Alessandro beim Ausritt der Eskadron und bildet so eine wohlkomponierte Unterbrechung des Geschehens, die die konträre Grundstimmung der Novelle bereits am Anfang vorwegnimmt. 13

Aber auch die reihende Landschaftsschilderung unserer Textmontage ist stilistisch mißglückt. In Hofmannsthals Fassung wird nämlich zuerst der Gesamteindruck geschildert: Über der freien, glänzenden Landschaft lag eine

35

unbeschreibliche Stille; dieser Eindruck wird dann in Einzelbildern bestätigt, die in der Ferne ansetzen und sich dem Miterlebenden nähern, also eine beliebte Darbietungsform nutzen, wie sie schon Goethes »Über allen Gipfeln . . .« kennt. In der »Reitergeschichte« - folgen dem Gesamteindruck die Bilder der Gipfel, des stillen Maisfeldes und der Baumgruppe. Ein zusammenfassender Gesamteindruck wäre allerdings ebenfalls möglich gewesen. Der Autor hält sich also an bestimmte Erfordernisse der Wahrnehmung. Erkenntnismäßige und zeiltliche Ordnung bilden somit eine weitere Grundlage der Textkontinuität.

Über derartige inhaltliche Verklammerungen des textlichen Gefüges hinaus gibt es manche sprachlichen Signale, die diese Einheit des Textes betonen. Solche Signale, die von der Textlinguistik im einzelnen erforscht werden, sind z.B. Pronomina (besonders Personal- und Demonstartivpronomina), die als Verweiswörter vorangegangene Substantive oder adverbiale Angaben vertreten, sowie Orts- und Zeitangaben, die für längere Abschnitte bis zu ihrem Widerruf oder ihrer Ablösung gelten.

Darüber hinaus wird man auch die Art und Weise der Darstellung in einem Text, seinem Sprachstil, als ein wichtiges textkonstituierendes Element ansehen müssen. Bereits die Philologie im 19. Jh. hat in manchen älteren Dichtungen zahlreiche Beispiele von Texteinschüben (Interpolationen) durch fremde Hand allein aufgrund stilistischer Unterschiede entdecken können. Vor rund 100 Jahren, im Jahre 1875, erregte der nachmals berühmte Germanist Eduard Sievers, einiges Aufsehen, als er aufgrund solcher Stilmerkmale (wie auch inhaltlicher Wiederholungen) für größere Teile einer angelsächsischen Bibeldichtung den angelsächsischen Ursprang bestritt, sie vielmehr als ursprünglich altsächsische Stabreimverse auffaßte und in die Nähe des »Heliand« rückte.14 Sievers' Annahmen wurden glänzend bestätigt, als man 1889 in der Vatikanischen Bibliothek tatsächlich altsächsische Bruchstücke der von Sievers als Interpolation erkannten Textpartien entdeckte. Das Beispiel sei hier nur angeführt, um auf die Wichtigkeit des Sprachstils als eines konstitutiven Faktors der Textgestaltung und Texteiheit hinzuweisen. Noch heute wird dieser Umstand darin berücksichtigt, daß man Echtheitsfragen von Texten aufgrund von stilstatistischen Untersuchungen mit Hilfe von Computern zu beantworten sucht.

Auch an neueren Texten läßt sich die Notwendigkeit der stilistischen Einheit eines Textes sinnenfällig machen. Wir betrachten aus diesem Grunde folgenden Text:

Einmal lagen wir auf warmer Mittagsrast in einem waldigen Tal, warfen uns mit Tannenzapfen und sangen Verse aus der »Frommen Helene« auf gefühlvolle Melodien. Das kühl verlockende Plätschern des raschen, klaren Baches tönte uns ins Ohr bis zu unserer Entkleidung und bis zu unserem Hineinlegen ins kalte Wasser. Da kam er auf die Idee, »Komödie« zu spielen.

Wer diese Sätze aufmerksam liest, wird den zweiten Satz mit seinen Nomina-lisierungen verbaler Ausdrücke als unschön und stilwidrig empfinden. Solche Wendungen wie »unsere Entkleidung und unser Hineinlegen«, die zudem doppeldeutig sind, kann man allenfalls in schlechtem Bürokratendeutsch

36

erwarten, nicht aber in einer schlichten Erlebnisschilderung, von der die beiden anderen Sätzen Zeugnis geben. Nun stammen auch nur diese beiden Sätze von Hermann Hesse. Der mittlere Satz, den wir hier enstellend umformten, lautet bei Hesse im »Peter Camenzind«:

Der rasche, kühle Bach plätscherte uns so lange kühl verlockend ins Ohr, bis wir uns entkleideten und uns ins kalte Wasser legten.15

Er folgt also in der Vorliebe für verbale Vorgangskennzeichnungen den Stiltendenzen, die in den übrigen Sätzen sichtbar werden.

Unsere Umformung sollte verdeutlichen, daß zur Einheit des Textes auch dessen stilistische Einheit zählt, was allerdings keine Einförmigkeit bedeutet, sondern nur die Dominanz bestimmter zweckentsprechender Stilformen (vgl. S. 280 ff.). In poetischen Texten kann bereits eine geringe Abweichung von der gewählten Ausdrucksform, zu der manchmal auch Metrik und Reim zählen, einen Stilbruch bedeuten, wenn auch ein solcher Verstoß keinen Bruch der Texteinheit darstellt.

Selbst in nichtpoetischen Texten gelten derartige Stilbrüche in der Form des Wechsels der Stilarten als unstatthaft.

Als drittes Merkmal der Einheit eines Textes wurde dessen akustische bzw. optische Gestaltung genannt. Wenn es sich dabei um recht sekundäre und wenig exakte Kennzeichen handelt, so sollten sie schon deswegen nicht unerwähnt bleiben, weil ihnen bestimmte rationale Entscheidungen zugrunde liegen, die wiederum auf inhaltlichen wie strukturellen Textabgrenzungen beruhen. Akustisch werden Beginn und Ende eines Textes durch das Erklingen oder Verklingen eines bestimmten isolierten Redetons angezeigt. Soweit Texte allgemeinen Kommunikationsbedingungen unterliegen, werden sie meistens in kontinuierlicher Abfolge gesprochen. Dies gilt vor allem für monologische Texte wie Reden, Vorträge, Vorlesungen, Bekanntgaben u.ä. Die inhaltlich-strukturelle Texteinheit wird allerdings dabei vorausgesetzt. Die Texteinheit dialogischer Texte ist akustisch weniger leicht erfaßbar, doch wird man auch hier die Geschlossenheit der Redefolge als Krirerium ansehen können, auch wenn es sich im einzelnen um stilistisch unterschiedliche Redeweisen der Dialogpartner handelt.

Optisch wird die Textbegrenzung und Textgliederung durch die Aufteilung in Abschnitte, Kapitel, Bücher u.dgl. ermöglicht. Sie ist mitunter nur das Werk eines Redakteurs, geht aber oft auf bestimmte Gliederungswünsche des Autors zurück, der damit ein visuell wirksames Stilmittel zu nutzen sucht. Ein großer Teil moderner Gedichte beispielsweise verlöre beim stillen Lesen seine Wirkung, wenn die Setzer die Druckanweisungen des Autors nicht beachteten.

Ebenso wie Wortstellung und Interpunktion beispielsweise die Gestaltung und Wirkung eines Textes mitbestimmen und deshalb von vielen Autoren besonders beachtet (oder bewußt vernachlässigt werden) (vgl. S. 157ff.), wie ein Vergleich mancher Dichterhandschriften mit ihren zahlreichen Korrekturen lehrt (z. B. Hölderlin, Kleist), ebenso kann auch die äußereTextgliederung das Bemühen um eine besondere Wirksamkeit des Gesagten spiegeln (vgl. S. 160).

37

Соседние файлы в предмете [НЕСОРТИРОВАННОЕ]