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Sowinski-Deutsche_Stilistik.doc
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Die Chiffre

Von den »kühnen Metaphern« sind Bilder zu unterscheiden, die keinen unmittelbaren Stellvertretungscharakter mehr aufweisen, folglich keinen Bildempfänger sichtbar werden lassen, aber auch nicht realitätskonform sind, vielmehr einen assoziativen oder symbolischen Verweiswert eigener Art besitzen. Sie werden gemeinhin als Chiffren bezeichnet und erfordern in jedem Text eine gesonderte Auslegung aus dem Gesamtzusammenhang, soweit das überhaupt möglich ist. 159 Sie finden sich in der Lyrik symbolischer und expressionistischer Dichtung (Rilke, Trakl, Goll, Benn) und bei Lyrikern der Gegenwart.

... Es haben die grünen Wälder

Am Abend sich zu stilleren Hütten versammellt;

Die kristallenen Weiden des Rehs ...

(G. Trakl, »Gesang des Abgeschiedenen«)

Welle der Nacht – Meerwidder und Delphine

mit Hyakinthos leichtbewegter Last,

die Loorbeerrosen und die Travertine

wehn um den leeren istrischen Palast.

(G. Benn, »Welle der Nacht«)

Während Trakl traditionelle Bilder durch ungewöhnliche Kombinationen verfremdet und zusätzliche Chiffren in unkonventionellen, kaum verständlichen Beiwörtern schafft, formt Benn durch .seine faszinierende Bildkonstruktion aus semantisch disparaten, aber situativ und syntaktisch angemessenen Elementen eine neue dichterische Wirklichkeit ohne Kongruenz zu einer historischen, biologischen oder geographischen Wirklichkeit.160 Die Beispiele, die sich durch viele Parallelen aus der Gegenwartslyrik ergänzen ließen, zeigen hinreichend, daß die mittelbare, uneigentliche Bildlichkeit nicht nur auf Vergleiche zurückzuführen ist, sondern auch spontan entstehen kann zumal die VergleichsvorstelIung (Bildspender) bei vielen Metaphern nicht bewußt wird.

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Personifikation und Synästhesie

Zwei Nebenformen der Metapher müssen hier noch erwähnt werden: die »Personifikation« und die »Synästhesie«. Beides sind sprachliche Ausdrucksformen, die auch in der Umgangssprache begegnen, in der poetischen Sprache jedoch als bewußte Stilmittel verwendet werden und zur stärksten Wirkung kommen. Man kann in der Verlebendigung der von Natur aus nicht-lebendigen Wesen und Dinge ein grundsätzliches psychologisches Phänomen sehen, das sich sowohl im religiösen Animismus als auch in der Mythologisierung, Sagen- und Märchenbildung und in der sprachlichen Genusklassifikation wie in umgangssprachlichen und stilistischen Personifikationen und Allegorisierungen auswirkt. Die Personifizierung kann in erstarrten wie in neugebildeten Ausdrücken begegnen, wenn einem Wort, das ein nichtlebendes Wesen kennzeichnet, Eigenschaften oder Handlungen zugeordnet werden, die sonst nur Lebewesen zukommen (z.B. der Baum ächzt, die Tür quietscht, der Schuß bellt, der blinde Zufall, die Liebe siegt). Wie andere Metaphorisierungen, so tragen auch die Personifikationen zur größeren Lebendigkeit und Anschaulichkeit der Sprache bei. Vorhandene Bildungen werden daher stets durch neue erweitert, die aus der Volkssprache erwachsen oder aus der Dichtersprache übernommen werden (z.B. der Himmel lacht, die Bäume schlagen aus, Mutter Natur usw.). Neue Personifikationen treten in allen Funktionsstilen auf, bevorzugt jedoch innerhalb der Dichtung. Die häufigste Form ist in der Zuordnung eines Verbs, das ein Lebewesen als Subjekt fordert, zu einem Nichtlebewesen gegeben, z. B. und Finsternis aus dem Gesträuche mit hundert schwarzen Augen sah (Goethe, »Willkommen und Abschied«); Es lächelt der See, er ladet zum Bade (Schiller, »Wilhelm Tell«). Andere bestehen in der Aktivierung eines passiven verbalen Vorgangs, oft mit Zusatz von »sich«: Es erben sich Gesetz und Rechte wie eine ew'ge Krankheit fort (Goethe, »Faust«). Die verbale Fügung kann auch zum Adjektivattribut oder Verbalsubstantiv transformiert werden (z. B. der Himmel lacht – der lachende Himmel – das Lachen des Himmels). Personifizierung können sich in einzelnen Wörtern spiegeln, aber auch in größeren Schilderungen durchgehalten werden. In dem folgenden Beispiel für eine Personifikation (Eigenbewegung der Wellen) ist mit ihr eine Metapher (Wellenleiber) verbunden:

Er stand am Bugspriet ... und blickte hinab in das dunkle Wandern und Treiben der starken, glatten Wellenleiber dort unten, die umeinander schwankten, sich klatschend begegneten, in unerwarteten Richtungen auseinanderschossen und plötzlich schaumig aufleuchteten ... (Th. Mann, »Tonio Kröger«)

Das letzte Sprachbild (Aufleuchten der Wellen) kann zur Synästhesie überleiten, zur »Verbindung von zwei verschiedenen Sinnesempfindungen, wobei die eine übertragene Bedeutung annimmt«161 oder ein gleichwertiges Nebeneinander verschiedener Bereiche bedingt. Solche »Zusammenempfindungen« treten in der Alltagssprache wie in der Literatur auf, z.B. bei der Charakterisierung von Farb- oder Tonempfindungen: schreiendes Rot, kalte Farben, dunkle Töne. Als Beispiel für eine poetische Synästhesie, die der

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Eindruckssteigerung dient, wird oft auf Brentanos Gedicht »Abendständchen« verwiesen, in dem es u.a. heißt: ... Golden wehn die Töne nieder ... Durch die Nacht, die mich umfangen, blickt zu mir der Töne Licht. Die Synästhesie entsprach den Forderungen der Romantiker nach dem Zusammentreffen mehrerer Sinneswirkungen im Gesamtkunstwerk. Sie ist nicht auf die romantische Dichtung beschränkt geblieben, begegnet aber im Vergleich zu metaphorischen Bildern verhältnismäßig selten.

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