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Sowinski-Deutsche_Stilistik.doc
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Satzzeichen und Typographie als Stilmittel

Wenn man Stil als die charakteristische Eigenart der sprachlichen Ausdrucks- und Darstellungsweise ansieht, so sind alle diejenigen Mittel zuzuzählen, die sprachliche Ausdrucksabsichten sichtbar machen. Da Stiluntersuchungen bisher fast ausschließlich auf schriftliche Texte beschränkt blieben, gehört auch die Zeichensetzung (Interpunktion) in diesen Betrachtungszusammenhang. In der Literatur69 wie in der sprachlichen Werbung finden sich zahlreiche Beispiele einer stilistisch bedingten Interpunktion.

Sie wird insbesondere dort sichtbar, wo sich ein Autor nicht an die gegenwärtig gültigen Zeichensetzungsregeln hält, sondern die übliche Interpunktion nach eigenem Ermessen abwandelt. Zwar kann auch die konventionelle, regelgerechte Interpunktion als Stilistikum gelten70, eine besondere Aussageabsicht wird jedoch nur dort signalisiert, wo die Satzzeichen anders als vorgeschrieben gesetzt sind. Die Grenzen zwischen konventioneller und bewußt stilistischer Zeichensetzung sind oft schwer zu ziehen. Ein Autor kann beispielsweise zwei einander folgende Satzinformationen durch Punkt oder durch Semikolon trennen (gelegentlich sogar durch Komma, Doppelpunkt oder Gedankenstrich). Der Punkt markiert eindeutig die Satzgrenze des ersten Satzes zugleich als Gedankengrenze; das Semikolon überspielt sie durch die Kleinschreibung des zweiten Satzanfangs. Hier besteht bereits eine stilistische Variationsmöglichkeit. Im Gegensatz dazu stehen Fälle, in denen Satzglieder oder Nachträge durch Punkte vom vorangehenden Aussagesatz abgetrennt wurden (vgl. S. 119). So etwa in den ausrufartigen Bildreihungen mancher Expressionisten:

... Und dann die langen Einsamkeiten. Nackte Ufer, Stille. Nacht.

Besinnung, Einkehr. Kommunion. Und Glut und Drang

Zum Letzten, Segnenden. Zum Zeugnisfeste. Zur Wollust.

Zum Gebet. Zum Meer. Zum Untergang.

(E. Stadler, »Fahrt über die Kölner Rheinbrücke bei Nacht«)

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Als drittes und häufigstes Pausenzeichen im Satz ist das Komma zu nennen. Auch seine Verwendung unterliegt sehr oft stilistischen Ausdrucksabsichten, wie die Manuskripte oder Erstdrucke und die darauf beruhenden kritischen Textausgaben zeigen (manche Redakteure erlauben sich allerdings mitunter unberechtigte Angleichungen. an die konventionelle Interpunktion71, besonders bei unkritischen Ausgaben). Während die Kommaregeln dieses Pausen- und Gliederungszeichen nur bei Verbindungen vollständiger Sätze, eingeschobenen Satzfragmenten oder -gliedern und asyndetischen Reihungen vorsehen, suchen bestimmte Autoren, wie z.B. Kleist oder manche Romantiker, ihre dynamischen Sätze noch häufiger durch Kommata und andere Satzzeichen zu untergliedern:

Wie! rief die Marquise, indem sie aufstand, und sich loswickelte, und Sie kommen gleichwohl? – ... (Kleist, »Die Marquise von O. «)71

Als Gegensatz dazu kann der betont schlichte und unattraktive73 Stil Stifters in »Nachsommer«74 gelten, wo häufig notwendige Kommata ausgelassen werden:

Da ist der schneeige glatte Bergahorn der Ringelahorn die Blätter der Knollen von dunklen Ahorn – alles aus den Alizgründen – dann die Birke von den Wän-den und Klippen der Aliz der Wacholder von der dürren schiefen Haidefläche die Esche die Eberesche die Eibe die Ulme selbst Knorren von der Tanne der Haselstrauch der Kreuzdorn die Schlehe und viele andere Gesträuche, die an Fertigkeit und Zartheit wetteifern ... (A. Stifter, »Nachsommer«)

Der Verzicht auf konventionelle Satzzeichen kann auch (ebenso wie die durchgehende Kleinschreibung) einem esoterischen Streben nach Distanzierung von allem »Üblichen« erwachsen und darin stilcharakterisierend sein.

Jeden wahren künstler hat einmal die sehnsucht belallen in einer sprache sich auszudrücken deren die unheilige menge sich nie bedienen würde oder seine worte so zu stellen daß nur der eingeweihte ihre hehre bestimmung erkenne ...

(Stefan George)75

Das unterschiedliche Verhalten einzelner Autoren zum Komma könnte bis zur Gegenwart hin aufgezeigt werden: die bedachte Akribie der Zeichensetzung Thomas Manns müßte dabei ebenso berücksichtigt werden76 wie die rhythmische Bändigung der Assotiationen und Gesprächsfetzen bei Alfred Döblin77, die Kommascheu eines Uwe Johnson oder Jürgen Becker ebenso wie die Interpunktionsbetonung durch Günter Grass oder Max Frisch.

Neben Punkt, Semikolon und Komma fungieren Doppelpunkt (Kolon), Gedankenstrich und Gedankenpunkte78 als stilcharakteristische Pausenzeichen, und zwar, im Gegensatz zu den erstgenannten, als echte Alternativformen bzw. Varianten. Der Doppelpunkt, ursprünglich Zeichen des Zeilenabschlusses79, wird zudem häufig als Spannungssignal verwendet, das den Beginn einer Redeergänzung (wörtliche Rede, Inhaltsangabe, Aufzählung o.ä.) anzeigt. Wenn auch diese Verwendungsform fast regelmäßig erscheint, so begegnen hin und wieder Ausnahmen bei eizelnen Autoren, die ein Komma oder einen Gedankenstrich dadurch ersetzen. Schon Lessing nutzte diese Möglichkeit zur Erwartungssteigerung:

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»Nun, wenn Sie nicht hören wollen: so mögen sie fühlen«. (Anti-Goeze)80

Kleist wiederum kündigt mit dem Doppelpunkt »Ereigniseinbrüche«81 an:

Hier hatte sie die nächsten Jahre ... in der größten Einsamkeit zugebracht: bis der ... Krieg plötzlich die Gegend umher mit den Truppen ... erfüllte.

(Kleist, »Die Marquise von O.«)

Eine ungewöhnliche Variante stellt die Setzung des Doppelpunkts nach wörtlichen Reden oder inneren Monologen bei Uwe Johnson dar:

Na: sagten sie, und Kirsch antwortete lächelnd: Ganz gut.

(»Das dritte Buch über Achim«)

Die Einleitung von Gedanken bzw. inneren Monologen, gelegentlich auch von wörtlichen Reden durch Doppelpunkte ohne Anführungsstriche findet sich ebenso außerhalb der Dichtung, z.B. in wissenschaftlichen Texten:

Und wirklich: Strauß hat je damit nur gesagt, was das ganze 19. Jahrhundert und seine Stellung zum Christentum offenbart: die Kritik hat die Krisis herbei-geführt. (Th.Steinbüchel, »Zerfall des christl. Ethos im XIX. Jahrhundert«)

Oder in Werbetexten:

Der VW wäre ideal für viele Leute, die einen repräsentativen Wagen ihr eigen nennen.

Nur: Er kostet nicht genug.82

Endlich ist er da: Der Kühlschrank von Bosch!83

Die Kolonsetzung soll hier eine Erwartungspause signalisieren. Eine mögliche Kommasetzung wäre dafür zu schwach.

Eine ähnliche Funktion wird häufig dem Gedankenstrich zugemutet, der sich seit dem 18. Jh. als spannungssteigerndes Satzzeichen behauptet.84 J. Stenzel nennt ihn »das unartikulierteste aller Satzzeichen«85, weil er nicht nur wie die übrigen Satzzeichen Redehinweise für Rhythmus, Melodie und Tempo gibt, sondern auch, weil hier »die verständige Leistung der Artikulation von freier Phantasie suspendiert« wird.

Die hier skizzierte Wirkung des Gedankenstrichs ist vor allem charakteristisch für Satzabbrüche (Aposiopesen) und somit für die Wiedergabe erregter Reden oder Gedanken oder der mündlichen Redeweise überhaupt. Daneben findet dieses Satzzeichen oft als Einrahmung von Parenthesen Verwendung, um den Gegensatz des Eingefügten besonders bewußt zu machen. Dieser Gegensatzcharakter wird auch hervorgehoben, wenn ein Komma durch einen Gedankenstrich ersetzt wird.

Durch das hier signalisierte Verstummen der Wirklichkeitsbewältigung mit Hilfe der Sprache erweist sich der Gedankenstrich als typisches graphisches Stilmittel emotional bestimmter Textsorten. Die Dichter des Sturm und Drang bevorzugten ihn ebenso wie manche naturalistischen und expressionistischen Dramatiker und Erzähler, die daneben Spannungspausen auch durch Gedankenpunkte markieren:

Wenn ich nur ihre schwarzen Augen sehe, ist mirs schon wohl! Sieh, und was mich verdrüst, ist, daß Albert nichct so beglückt zu seyn scheinet, als er – hoffte – als ich – zu seyn glaubte – wenn – Ich mache nicht gern Gedankenstriche, aber hier kann ich mich nicht anders ausdrukken – und mich dünkt deutlich genug. (Goethe, »Die Leiden des jungen Werthers»)86

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Nein! – und das – wollte ich unbedingt ... unbedingt noch sagen, bevor ... bevor – Sie – gingen. (G.Hauptmann, »Vor Sonnenaufgang«)

»Na? Willst du nu, oder nich?! -- Bestie!!«

»Aber – Niels! Um Gottes willen! Er hat ja wider den – Anfall!«

»Ach was! Anfall! - - Da! Friß!!!«

(A. Holz/J. Schlaf, »Papa Hamlet«)

Die genannten dichterischen Texte rücken neben den Pausenzeichen des Gedankenstrichs und der Gedankenpunkte (die besonders in naturalistischen Texten häufig sind) die Tonsignale des Ausrufe- und Fragezeichens in den Vordergrund. Sie sind konventionell üblich bei Ausrufe- und Fragesätzen, werden aber gelegentlich – wie der Schlußtext zeigte – kombiniert und verdoppelt oder mitten in den Text gestellt, um eine verstärkte Ausdruckswirkung zu signalisieren. Es gibt allerdings Autoren, die diese Zeichen (in einfacher oder gehäufter Form) auch in erzählenden Prosatexten anwenden, um bestimmte Auslagen zu unterstreichen, selbst wenn dabei keine emphatischen oder fragenden Satzformen vorliegen.

Besonders gern werden erlebte Reden und innere Monologe auf diese Weise gekennzeichnet. Da hier keine Anführungsstriche erscheinen, lassen sich diese Redeformen nur durch die grammatische Aussageform, den Kontext und solche Satzzeichen deutlich machen:

Uh, das war eine Fahrt! und diese alte Spinne, diese Canidia, diese Giftmischerin, schien sich wahrhaftig schon monatelang darauf gefreut und darauf vorbereitet zu haben! (W. Raabe, »Horacker«)

Wenn ich wenigstens einen Ecksitz hätt’! Also Geduld, Geduld! Auch Oratorien nehmen ein End’! Vielleicht ist es sehr schön, und ich bin nur nicht in der Laune. Woher sollt mir auch die Laune kommen?

(A. Schnitzler, »Leutnant Gustl«)

Auch in Werbetexten dienen Fragezeichen und Ausrufezeichen der Steigerung der Aussagen:

Schluß mit Falten! (Keine Paßformprobleme mehr!)

(Strumpfwerbung)

Wenn Sie eine kleine Freude machen wollen!

(Zigarettenwerbung)

Allerdings gibt es – wie in der Gegenwartsliteratur – auch Texte, die auf diese auffälligen Mittel verzichten, vor allern auf Ausrufezeichen, sofern der Satzsinn eindeutig ist:

Was wäre der Tag ohne Dich. (Bäckerwerbung)

Die Satzzeichen können also als stilistisch bedingte Grapheme und somit als Stilmittel besonderer Art angesehen werden. Dies gilt allerdings nur für schriftliche Texte und vor allem für Texte der Dichtung wie der Werbung. In Texten der mündlichen Rede wird diese Signalwirkung durch die »suprasegmentalen Morpheme« der Intonation, des Sprechtempos und Rhythmus erzielt.

Bei schriftlichen Texten kann über die typographischen Hilfsmittel der Interpunktion hinaus sogar das Schriftbild bestimmte Stilwirkungen zeitigen.

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Lyrik und Werbung haben dieses Phänomen wiederholt zur Eindruckssteigerung genutzt. Die Versgliederung unmetrischer Gedichtzeilen wird oft nur durch das Schriftbild sichtbar, Figurengedichte und »Ideogramme« der »konkreten Poesie« leben aus der sprachlichen Wiederholung und aus der visuellen Gestalt (vgl. S. 65). Aber auch die Gliederung von Prosatexten nach Abschnitten, also optisch wahrnehmbaren Signalen, ist hierzu nennen. Die Grenzen zwischen sprachlichen und graphischen Stilmitteln sind oft fließend.

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