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Sowinski-Deutsche_Stilistik.doc
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Perfekt

Mit der Präsensform wechselt nach den Regeln der Zeitenfolge die Perfektform, die deshalb gelegentlich als »vollendete Gegenwart« bezeichnet wurde. Die Perfektform wird dazu verwandt, einen Vollzug oder eine Vollendung in der Gegenwart des Sprechers zu konstatieren:

Der Händler lebt nicht mehr. Er ist gestorben. Er maß den Gedanken so oft wiederholen, bis er ihn abgetötet hat. (P. Handke, »Der Hausierer«)

Ebenso kann das Perfekt eine Feststellung oder ein Urteil enthalten:

Er ist es gewesen. Er hat es getan. Das Gericht hat zu Recht erkannt: Der Angeklagte ist schuldig.

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Von anderen Vergangenheitstempora unterscheidet sich die Perfektform stilistisch dadurch, daß sie kein durchgehendes Erzähltempus schriftlicher Texte ist (wie das Präteritum-Imperfekt bzw. seine Ergänzungsform: das Plusquamperfekt), sondern nur gelegentlich als subjektive Feststellung des Erzählers oder als resultative Bemerkung in erzählenden Texten begegnet, in einigen auch völlig fehlt. Ein wirkungsvolles Beispiel für den Kontrast zwischen erzählendem Präteritum und besprechendem Perfekt und zugleich für die stilistischen Möglichkeiten der Zeitenfolge und -opposition findet sich schon in der Rahmung von Goethes »Die Leiden des jungen Werthers« (1774), wo am Eingang und am Schluß der fiktive Herausgeber der Briefe Werthers zu Wort kommt und das resultative wie konstatierende Perfekt bevorzugt:

Was ich von der Geschichte des armen Werthers nur habe auffinden können, habe ich mit Fleiß gesammelt, und leg es euch hier vor, und weiß, daß ihr mir’s danken werdet ...

Der Alte folgte der Leiche und die Söhne, Albert vermocht’ es nicht. – Man fürchtete für Lottes Leben. Handwerker trugen ihn. Kein Geistlicher hat ihn begleitet. (Goethe, »Werther«)

Ein weiteres Beispiel erzählerischer Rahmung fährt H. Weinrich an51: die Verteidigungsrede Josef K.’s in Franz Kafkas Roman «Der Prozeß«. Auch hier stehen die resultativen Angaben im Perfekt, der Vorgang dagegen im Präteritum:

»Hören Sie: Ich bin vor etwa zehn Tagen verhaftet worden, über die Tatsache der Verhaftung selbst lache ich, aber das gehört jetzt nicht hierher. Ich wurde früh im Bett überfallen ... «

»Ich wiederhole, mir hat das ganze nur Unannehmlichkeiten und vorübergehenden Ärger bereitet, hätte es aber nicht auch schlimmere Folgen haben können?« (F. Kafka, »Der Prozeß«)

Weinrich verweist noch auf einen anderen Bereich des stilistischen Zusammenspiels zwischen Perfekt und Präteritum22: den der Geschichtsschreibung. Da es Aufgabe des Geschichtsschreibers ist, das Vergangene zu »erzählen« und zugleich zu kommentieren, wechseln in historischen Darstellungen die Tempora des Erzählens (Präteritum, Plusquamperfekt) mit denen des »Besprechens«, Konstatierens (nach Weinrich: Präsens, Perfekt), die einzelne Geschehnisse aus dem Kontlnuum des Ablaufs der Zeit herausheben und »besprechen«:

Nach dem Umsturz von 1933 hat General von Blomberg sich gerühmt, das sei es nun, worauf die Reichswehr immer hinausgewollt und, in aller Verschwiegenheit, planmäßig hingearbeitet habe. Man hat es ihm damals wohl geglaubt, auch außerhalb Deutschlands. Es war aber hauptsächlich Prahlerei. Der Minister machte die Reichswehr viel böser, viel konsequenter und voraussehender, als sie gewesen war ... (G. Mann, »Slaat und Heer«, 1956)

Das Perfekt wirkt hier konstatierender als das gleichfalls berichtende und kommentierende Imperfekt. Die temporalen Oppositionen von Perfekt und Imperfekt prägen auf diese Weise den Stil mancher historischen oder erzählerischen Darstellung.

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Eine ständige Verwendung des Perfekts als Vergangenheitstempus würde stilistisch unschön wirken. Da die Perfektformen analytisch aus den finiten Verbformen von »haben« bzw. »sein« und dem Partizip II (rnit ge- oder anderen Präfixen und der Endung -en oder -t) oder seinen Ersatzforrnen (Infinitiv bei Modalverben) gebildet werden (z.B. ich habe es gesehen, habe es sehen können, habe es gelernt), bedingte die Abfassung eines Textes im Perfekt ständige Wiederholungen der finiten Hilfsverbformen. Man sucht dies durch Beschränkung auf eine einmalige Nennung des Hilfsverbs bei mehreren Partizipien zu vermeiden. Außerdem entständen auf diese Weise Satzklammern, die zuweilen die Gewichtigkeit des Geschehens unterstreichen, zugleich aber die Aussagen verzögern. Im Wechsel mit anderen Tempusformen (Präsens, Präteritum, Futur) wirken dagegen Perfektsätze, soweit der Redezusammenhang sie erlaubt, als auflockernde Einschnitte des Textes.

Häufungen von Perfektsätzen finden sich allerdings in Texten des mündlichen Sprachgebrauchs im Oberdeutschen (Süddeutschen, Schweizerdeutschen, Österreichischen) oder seiner literarischen Spiegelung, weil in den oberdeutschen Mundarten und Umgangssprachen das Perfekt als Vergangenheitsform dominiert oder so gar ausschließlich gilt.23 Die Opposition von erzählerischem Präteritum (Imperfekt) und erzählerischem Perfekt kann hier als stilistisches Mittel wirkungsvoll genutzt werden.

Mitunter gerät das oberdeutsche Perfekt in die erzählerische Handlungsdarstellung an Stellen, wo wir nach dem üblichen Schriftdeutsch das Imperfekt erwarten:

Unmittelbar am jenseitigen Rand des Friedhofs ist eine große Wirtschaft gestanden, mit eindrucksvollen und bedeutsamen Geräuschen. Wir haben schlitterndes Rollen auf holprigem Steinpflaster gehört und haben gewußt, jetzt wird ein frisches Faß angesteckt, haben auf den dampfen Krach gewartet, mit dem der Bierbanzen auf den Schrägen gesetzt wird, und auf die klingenden Schläge, die den Zapfen ins Fuß treiben. (W. Dieß, »Heimweh«)24

Das für erzählende Passagen ungewöhnliche Tempus verstärkt hier das Lokalkolorit des Textes, das bereits durch die Schilderung und die regional gebundenen Wörter (Bierbanzen, Schrägen) erreicht wird. Die Fremdheit des Oberdeutschen gegenüber dem Präteritum (Imperfekt), das hier oft erst als Tempus des schriftlichen Erzählens neu gelernt werden muß, führt manchmal zu ungewöhnlichem Gebrauch an Stellen, an denen man eine Perfektform erwartet. So taucht z.B. in Ferdinand Raimunds »Alpenkönig und Menschenfeind« (wie in seinen anderen Dramen) das Präteritum fast nur in den Liedern auf oder an Stellen, an denen sich die Personen urn eine gehobene Redeweise bemühen:

Astragalus: Und warum hassest du die Welt?

Rappelkopf: Weil ich hab blinde Mäusl gespielt mit ihr, die Treue hab erhaschen wollen und den Betrag erwischt, der mir die Binde von den Augen nahm. (F. Raimund, »Alpenkönig und Menschenfeind«)

Der Gebrauch des Präteritums ist hier zugleich Ausdruck der Nachzeitigkeit. Das Oberdeutsche kennt außerdem Abweichungen vom hochdeutschen Sprachgebrauch in der Verwendung von »haben« und »sein« bei der Perfekt-

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bildung. Während in der hochdeutschen Schriftsprache nur diejenigen intransitiven Verben, die eine Zustands- oder Ortsveränderung oder einen neuen erreichten Stand kennzeichnen, ihr Perfekt mit »sein« bilden, alle übrigen aber »haben« verwenden, wird »sein« im Oberdeutschen auch mit «sitzen«, »liegen«, «stehen« verbunden.

Hochdeutsch: Ich habe dort gestanden. – obd. Ich bin dort gestanden.

Ich habe dort gesessen. – Ich bin dort gesessen.

In der volkstümlichen Ausdrucksweise kann das Perfekt auch als Modus der fragenden Vermutung benutzt werden:

Ihr habt das doch nicht etwa vergessen? Das hast du sicher schon gehört?

Außerdem erscheinen Perfektformen häufig anstelle des wenig gebräuchlichen Futur II:

Morgen habe ich es geschafft! Wage, und du hast gewonnen!25

Auch atemporale Verwendungsweisen zum Ausdruck der bloßen Möglichkeit oder der Gesetzmäßigkeit mit Hilfe des Perfekts sind nicht selten:

Ein Unglück ist schnell geschehen.

Das Perfekt umfaßt damit einen größeren Geltungsbereich, als oft angenommen wird (wenn er auch nicht dem des Präsens entspricht).

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