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Der Konjunktiv

Im Gegensatz zum Indikativ kennzeichnet der Konjunktiv den eingeschränkten oder verneinten Sicherheitsgrad einer Aussage. Er kann als

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Modus des Hypothetischen, des nicht ganz Authentischen und des nur Möglichen angesehen werden. Doch kann Mögliches auch im Indikativ ausgedrückt werden (durch Modalverben oder Prädikativsätze mit: es ist möglich usw.). Morphematisch tritt der Konjunktiv in zwei Formen auf, die – da sie von den Formen des Präsens- wie des Präteritalstammes gebildet werden – früher als Konjunktiv Präsens und Konjunktiv Präteriti bezeichnet wurden, richtiger, neutraler jedoch Konjunktiv I und Konjunktiv II genannt werden, zumal beide Konjunktivformen heute weitgehend tempusneutral sind.

Die Schwierigkeiten der beutigen Konjunktiwerwenclung beruhen größtenteils auf dem lautlichen Zusammenfall zahlreicher Konjunktivformen mit gleichlautenden Formen des Indikativs. Dieser Zusammenfall hat sich, seit dem Althochdeutschen in beiden konjunktivischen Formenkkssen allmählich vollzogen, so daß Ersatz- und Ausweichformen notwendig wurden, um das konjunktivische Modusverhältnis zeichenhaft verdeutlichen zu können. Der deutsche Konjunktivgebrauch ist daher durch ein Nebeneinander von ursprünglichen Konjunktivformen und Ersatzforrnen bestimmt. Im Konjunktiv I ist eine derartige Substitution bei folgenden Einzelformen notwendig: 1. Person Singular; l. und 3. Person Plural; im Konjunktiv II: bei allen Pluralformen der starken Verben mit dem Stammvokal i/ie im Präterkum (z.B.: gehen, fallen) und bei allen Formen der schwachen Verben. Häufig werden Ersatzformen aber auch bei zu geringer lautlicher Differenzierung zwischen Indikativ und Konjunktiv gewählt: er nehme : er nähme. Als Ersatzformen (die oft grammatisch suppletiv sind, d.h. aus anderen Paradig-menreihen stammen) kommen in Frage:

a) für nicht eindeutige Formen des Konjunktiv I die entsprechenden Formen des Konjunktiv II (die bei schwachen Verben mit dem Präteriturn identisch sind), seltener Umschreibungen mit Formen von würden oder mögen;

b) für nichteindeutige Formen des Konjunktiv II Umschreibungen mit würde,

In vier Redebereichen erscheint der Konjunktiv gewöhnlich anstelle des Indikativs (notwendige Konjunktivform in Klammern):

1. in der indirekten Rede (Konjunktiv I), häufig auch in Inhaltssätzen (Behauptungssätzen).

2. zum Ausdruck eines als erfüllbar gedachten indirekten Wunsches oder Begehrens (Konjunktiv I).

3. im irrealen Vergleichsatz mit als,als ob, als wenn (Konjunktiv I/II).

4. zum Ausdruck einer irrealen Aussage oder eines irrealen Wunsches (Konjunktiv II).

Diese grammatischen »Empfehlungen«45 sind aus dem gegenwärtigen Sprachgebrauch abgeleitet. Da über den Konjunktivgebrauch sehr viel Unklarheit besteht, wollen wir dies ausführlicher erläutern: Als indirekte Rede (oratio obliqua) wird die nahezu inhalts- und wortgetreue Wiedergabe einer wörtlichen (direkten) Rede durch einen anderen Sprecher zu einem späteren Zeitpunkt verstanden.46 Dabei muß der Charakter der Rede durch Hinweiswörter des Sagens oder Denkens kenntlich gemacht werden oder

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gemacht werden können. Der Redetest erscheint hier meistens im Konjunktiv I, Wir vergleichen einmal einen literarischen Text mit indirekter Rede und seine Umformung in direkte Rede:

Nobbe war Vorsitzender des Hafenvereins, kein übler Mann, wie sich herausstellte, – er war freundlich zu Fred und erklärte ihm, daß dieser Verein eine große Tradition habe, eine Läufertradition: Schmalz sei aus diesem Verein hervorgegangen, der große Schmalz, der Zweiter wurde bei den deutschen Meisterschaften. Er selbst, Nobbe, habe früher einen Preis geholt bei den Norddeutschen Meisterschaften. (S. Lenz, »Der Läufer«)

Nobbe war Vorsitzender des Hafensportvereins, kein übler Mann, wie sich herausstellte; er war freundlich zu Fred und erklärte ihm: »Dieser Verein hat eine große Tradition, eine Läufertradition: Schmalz ist aus diesem Verein hervorgegangen, der große Schmalz, der Zweiter wurde bei den Deutschen Meisterschaften. Ich selbst habe früher einen Preis geholt hei den Norddeutschen Meisterschaften.« (Umformung)

Das Beispiel zeigt, daß gelegentlich Verbformen der wörtlichen Rede In der indirekten Rede verbleiben, wie z. B. der Nebensatz der Zweiter wurde. Das Präteriturn wurde diente in der wörtlichen Rede – regelwidrig – zum Ausdruck der Nachzeitigkeit (er wurde es später erst), eine Umformung der Zweiter bei den Deutschen Meisterschaften geworden sei wirkte hier umständlich und wiederholend. In der indirekten Rede muß die Personenkennzeichnung verdeutlicht werden, wenn Verwechslungen möglich sind. Deshalb wird hier der Name des Sprechers (Nobbe) nochmals eingefügt.

Der Konjunktiv I in der indirekten Recle dient als Signal dafür, daß wir es nicht mit dem völlig authentischen Wortlaut zu tun haben, sondern etwas nur wiedergegeben wird. Dem Ausdruck dieses referierenden Charakters dient auch die Konjunktiwerwendung in Inhaltssätzen, besonders solchen mit daß-Einleitung, die oft leichte Umformungen direkter oder indirekter Reden sind:

Der Minister betonte, daß der Straßenbau fortgesetzt werde.

Aber auch die indikativische Fassung ist zulässig:

Der Minister betonte, daß der Straßenbau fortgesetzt wird.

Der zweite Satz besitzt hier ein größeres Maß an Bestimmtheit, kann sogar als objektiver Bericht (ohne wörtliche Wiederholung der Aussage des Ministers) aufgefaßt werden, ist aber informationsgleich. Statistische Untersuchungen ergaben47, daß etwa 5/8 der Inhaltssätze den Konjunktiv I bevorzugen, also eine stilistisch nutzbare Formalternanz vorliegt. Es wäre bei derartigen Beispielen im einzelnen zu prüfen, welchen Stilwert die unterschiedliche Verwendung von Indikativ und Konjunktiv besitzt. Dabei muß differenziert werden zwischen Aktiv- und Passivformen, den Tempusformen und den Aussageabsichten (z.B. Anordnungen oder Meinungen).

Nicht immer erweisen sich konjunktivische und indikativische Inhaltssätze als informationsgleich und nur aspektverschieden. Mitunter drückt sich im Wechsel der Modi auch ein Informationswechsel aus:

Er sprach von seinem Buch, das voraussichtlich ein großer Erfolg werde.

(indir. Rede)

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Er sprach von seinem Buch, das voraussichtlich ein großer Erfolg wird.

(Bericht)

Im ersten Beispiel spiegelt der Nebensatz die Aussage oder Meinung des Autors (des Sprechers), im zweiten die Ansicht des Berichterstatters über das Buch des Besprochenen (= er).48 Sollte der erste Satz auch im Indikativ stehen, bedürfte er eines kennzeichnenden Zusatzes, um mit der Wiedergabe der indirekten Rede identisch zu sein.

Er sprach von seinem Buch, das nach seiner Ansicht ein großer Erfolg wird (werde).

Neben Indikativ und Konjunktiv I kommen auch Konjunktiv-II-Formen in der indirekten Rede wie in Inhaltssätzen vor, einmal dann, wenn es sich um Ersatzformen für den Konjunktiv I handelt: Er sagte, sie lernten dort gut (würden dort gut lernen); zum andern wenn eine irreale Wunsch- oder Aussageangabe der wörtlichen Rede wiederzugeben ist: Er wünschte, daß er wiederkäme. Der Unterschied beider Aussagearten wird bei einer Rückverwandlung in eine wörtliche Rede deutlich, wo das zweite Beispiel den Konjunktiv II beibehält.

Eine weitere Art des Konjunktiv II im Inhaltssatz findet sich in den Stilmitteln des inneren Monologs und der erlebten Rede (vgl. S. 155f.)49, die den Ausdruck eigener Gedanken der Romanfiguren auf diese Weise in den Bereich des Irreal-Hypothetischen transponieren:

Ich dachte, ich müßte ein Bad nehmen, so schmutzig fühlte ich mich.

(H. Böll, »Ansichten eines Clowns«)

Aus Neugierde eilte K. zur Tür, er wollte sehen, wohin die Frau getragen wurde, der Student würde sie doch nicht etwa über die Straßen auf dem Arm tragen.

(F. Kafka, »Der Prozeß«)

Unsicherheiten ergeben sich mitunter beim Tempusgebrauch der indirekten Rede. Früher richtete sich das Tempus nach dem der zugehörigen Hauptsätze.50 In neuerer Zeit gilt für die indirekte Rede die Regel, daß alle Präsensformen im Konjunktlv I (bzw. seinen Ersatzformen) wiederzugeben sind, alle Präteritalformen dagegen mit Konjunktiv-I-Formen von »haben« oder »sein« + Partizip II:

Sie sagt: »Ich denke nicht daran.« – Sie sagt, sie denke (dächte) nicht daran.

Er erklärte: »Der Mann schlug mich nieder. « – Er erklärte, der Mann habe ihn niedergeschlagen (die Männer hätten ihn niedergeschlagen).

Problematischer ist die Wiedergabe futurischer Reden. In der 3. Person ist die Umformung in die mittelbare Rede einfach, da hier der Konjunktiv I eine eigene Flexionsform besitzt:

Er schreibt: »Ich werde morgen kommen. « – Er schreibt, er werde morgen kommen (daß er morgen komme).

Versucht man jedoch, eine nichteindeutige Personalform umzusetzen, so ergeben sich Schwierigkeiten51:

Sie schreiben: »Wir kommen morgen.« – Sie schreiben, sie kämen morgen. Sie schreiben, sie würden morgen kommen. Sie schreiben, sie kommen morgen.

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Setzt man hier – wie üblich – für die nichteindeutige Form die Ersatzform des Konjunktiv II (oder eine Umschreibung mit würden), so ist dabei zu bedenken, daß auf diese Weise auch der irreale Aussagewert des Konjunktiv II in einen solchen Satz eingeht. Der obige Satz kann dann, wenn der Vortext keine Klärung bringt, als elliptische Form eines Satzes angesehen werden: Sie schreiben, sie kämen morgen, wenn ihr Auto wieder in Ordnung sei (wäre).

Es empfiehlt sich, hier den Indikativ beizubehalten oder die Umschreibung mit »würden« zu wählen, die auch sonst meistens einen futurischen Charakter besitzt.53 Einige Sprachlehrer warnen allerdings mit Recht vor dem Gebrauch der »würde« + Infinitiv-Umschreibungen für den Konjunktiv I (auch für den Konjunktiv II), wie sie vor allem in der Umgangssprache häufig sind, weil auf diese Weise die charakteristischen Flexionsformen des Konjunktivs verdrängt werden, die wiederholte Umschreibung mit »würden« zudem störend wirkt.

Eine weitere Verwendungsmöglichkeit des Konjunktiv I bietet sich bei den Wunsch- und Begehrenssätzen; allerdings gilt dies uneingeschränkt nur für Hauptsätze. Abhängige Wunschsätze (Er bat, daß sie kommt) treten ebenso wie Finalsätze (Er arbeitet, damit er es schafft) heute überwiegend mit dem Indikativ auf.53 Konzessivsätze wahren den Konjunktiv I noch in formelhaften Eingängen (Es sei denn ... wie es auch sei ...). Auch Wunsch- und Begehrenssätze beschränken den Konjunktivgebrauch häufig auf feste Redewendungen, Wunschformeln u.ä., sofern sie nicht Umschreibungen mit »mögen«, »sollen«, »müssen« wählen.

Er lebe hoch! – Er bleibe gesund! – Edel sei der Mensch, hilfreich und gut! – Er möge gesund bleiben!

Morphematisch wie inhaltlich sind hier Übergänge in den Imperativ möglich.

Als durchgehende Sprachform findet sich dieser Konjunktiv noch in Kochrezepten und Gebrauchsanweisungen.

Eine weitere Gruppe von Konjunktivformen stellen die abhängigen irrealen Vergleichsätze mit als, als ob, als wenn dar, in denen hauptsächlich Formen des Konjunktiv II, aber auch des Konjunktiv I und des Indikativ auftreten54:

Die taten, als ob sie Grund gehabt hätten, auf ihre ... viel zu schnell gewachsenen Lümmel stolz zu sein. (G. Grass, »Die Blechtrommel»)

Es kam mir so vor, als ob sie ein »Um Gottes Willen« unterdrücke.

(H. Böll, »Ansichten eines Clowns«)

Die letzte und stilistisch besonders wichtige Gruppe bilden die Konjunktiv-II-Formen der irrealen Aussagen, einschließlich irrealer Wünsche, deren Erfüllung nicht erwartet wird.

Bei dieser Gruppe handelt es sich vor allern um verkürzte oder vollständige Konditionalsätze. Der Konjunktiv dient hier zum Ausdruck von Unbestimmtheit, Möglichkeit, Zweifel, Nichtwirklichkeit.55

Ob er fürchtet, daß ich meine Omega-Uhr zurückfordere, wenn ich mit einem schnelleren Vehikel weiterfahren könnte ... (M. Frisch, »Homo Faber«)

Die Liebelei hätte eigentlich schon beim gemeinsamen Besehen der Briefmarkensammlung beginnen müssen. (G. Grass, »Die Blechtrommel«)

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Das hättest du getan? Du wärst so falsch gewesen? (Schiller)56

In den irrealen Wunschsätzen kommt die gefühlsmäßige Anteilnahme stärker zum Ausdruck. Der Konjunktiv II dient hier unmittelbar der stilistischen Ausdruckabsicht:

Käme er doch endlich! Hätte er doch auf mich gehört!

In den vorgenannten Konjunktiv-II-Formen besteht die größte Regelmäßigkeit im Konjunktivgebrauch, auch wenn hier Nebenformen mit »würde« zu den Formen der starken und schwachen Verben vorkommen. Angemessen erscheinen allerdings diese Umschreibungen, für die das oben Gesagte gilt (S. 186) nur dann, wenn die urngelauteten Konjunktiv-II-Formen ungewöhnlich sind (z.B. sänke, quölle). Gegen doppelte »würde«-Formen in Sätzen (mit wenn) bestanden in der früheren Stilistik starke Bedenken (»würde ist würdelos!«)57, die heute weniger betont werden, obgleich die Wiederholung immer stört.

Mit Ausnahme der erwähnten Kochrezepte, Gebrauchsanweisungen, einiger Gedichte und Reflexionen, gibt es kaum Texte, die ausschließlich im Konjunktiv geschrieben sind. Einige Textsorten meiden sogar den Konjunktiv, weil ihre Aussagen ein hohes Maß von Bestimmtheit verlangen, z.B. juristische und wissenschaftliche Texte oder exakte Beschreibungen. Im kommunikativen und künstlerischen Sprachgebrauch reicht die Art gelegentlicher konjunktivischer Texteinschübe von verhältnismäßig umfangreichen bis zu den recht kleinen Partien des »als ob«-Vergleiches oder kurzen Wunsches.

Der Anteil konjunktivischer Aussagen in der Dichtung ist relativ groß. Die Belegsammlungen58 bestätigen, daß für alle aufgezeigten Formen Belege aus literarischen Texten erbracht werden können. Hier nur einige Hinweise dazu:

Die Bedeutung konjunktivischer Aussagen in der Lyrik ist wiederholt erläutert worden.59 Besonders irreale Wunsch- und irreale Bedingungssätze sind hier anzutreffen, Ausdrucksweisen des dichterischen Strebens nach einem anderen Dasein, nach einer Überwindung eigenen und fremden Ungenügens; aber auch Bilder, deren Eigenart die Erfahrung oder Anschauung übersteigt und nur im Vergleich erkennbar wird:

Wenn ich ein Vöglein war’

Und auch zwei Flügel hätt’

Flög ich zu dir. (Volkslied)

Es war, als hätt’ der Himmel

Die Erde still geküßt,

Daß sie im Blütenschimmer

Von ihm nur träumen müßt!

(Eichendorff, »Mondnacht«)

Siehe, da rief ich die Liebende. Aber nicht sie nur käme ... Es kämen aus schwächlichen Gräbern Mädchen und ständen ...

Ihr Kinder, ein hiesig einmal ergriffenes Ding gälte für viele.

(R. M. Rilke, »7. Duineser Elegie«)

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Eine besondere Form der Konjunktivverwendung findet sich in den Reflexionen dramatischer Monologe:

War’s möglich? Könnt ich nicht mehr, wie ich wollte?

Nicht mehr zurück, wie mir’s beliebt? Ich müßte

die Tat vollbringen, weil ich sie gedacht ...

(Schiller, »Wallensteins Tod«)

O meine Mutter, also sprächst du nicht,

Wenn dich der Tod umschauerte wie mich!

(Kleist, »Prinz von Homburg«)

Das Drama, zumindest in seiner klassischen Ausprägung, enthält ebenfalls Formen der indirekten Rede, z.B. Botenberichte u.ä., die die notwendigen Informationen ergänzen:

So lebhaft, meint’ er, hab’ er nie geträumt –

Und fester Glaube baut sich in ihm auf,

Der Himmel hab’ ein Zeichen ihm gegeben:

Es werde alles, was sein Geist gesehen ... Gott ... ihm schenken.

(Kleist, »Prinz von Homburg«)

Alle bisher genannten Formen der konjunktivischen Aussage finden sich am häufigsten in den Texten der Prosadichtung, besonders in Ich-Erzählungen und in Texten auktorialer Erzähler, die mit ihren Darstellungen die eigenen Reflexionen und Kommentare verbinden:

Zwar könntest du mir mit einem verwandten Gleichnisse antworten: Wer ließe sich nicht lieber den Arm abnehmen, als daß er durch Zaudern und Zagen sein Leben aufs Spiel setzte? – ... Ja, Wilhelm, ich habe manchmal so einen Augenblick aufspringenden, abschüttelnden Muts, und da – wenn ich nur wüßte, wohin, ich ginge wohl. (Goethe, »Werther«)

Dieser kurze Text ist deshalb aufschlußreich, weil Werther hier erstmals die Möglichkeit eines freiwilligen gewaltsamen Todes, also sein späteres Schicksal, in einer Reflexion andeutet. Der Konjunktiv bietet so die kompositorische Möglichkeit, Künftiges anzudeuten.

Der literarische Text kann sich aber ebenso des irrealen Erzähl-Modus bedienen, um Vergangenes in den Erzählfortgang zu integrieren, ohne die Erzählebene zu verlassen. Thomas Mann nutzt diese retrospektive Konjunktivverwendung (wie auch die prospektive) wiederholt im »Doktor Faustus«:

Tatsächlich ist mir, indem ich schreibe, als stünde ich noch mit Frau Elsbeth, Georg und Adrian hinter des Vaters Stuhl und folgte seinem Finger durch diese Geschichte.

Daneben spielt die irreal-konditionale Reflexion des Erzählers eine große Rolle:

Ungern würde ich es sehen, wenn man mich nach dem Gesagten für einen durchaus irreligiösen Menschen hielte. (Th. Mann, »Doktor Faustus«)

Solchen erlebnis- und erzählerbezogenen Reflexionen, die sich des Konjunktivs bedienen, lassen sich andere gegenüberstellen, die die Schwierigkeit verdeutlichen, die erzählerische Wirklichkeit, sei es eine Person oder eine Begebenheit, im dichterischen Wort überhaupt adäquat erfassen zu können. Ein Beispiel aus einer Erzählung Robert Musils, dessen Stil unter diesem Aspekt

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von A. Schöne untersucht worden ist60, mag diese »konjunktivische Zurückhaltung«61 verdeutlichen:

Es kam unter diesen Umständen wenig darauf an, was dieser erwiderte, und es kann ihre Überredung fast wie ein Selbstgespräch erzählt werden. Wichtiger wäre es, wenn man genau zu beschreiben vermöchte, wie Azwei damals aussah, weil dieser unmittelbare Eindruck für die Bedeutung seiner Worte nicht ganz zu entbehren ist. Aber das ist schwer. Am ehesten könnte man sagen, er erinnerte an eine scharfe, nervige, schlanke Reitgerte, die, auf ihre Spitze gestellt, an einer Wand lehnt ... (R. Musil, »Die Amsel«)

Die Möglichkeit, erzählte Wirklichkeit ihrer Tatsächlichkeitsfiktion dadurch zu berauben, daß sie nur im Konjunktiv dargeboten wird, ist – offenbar wegen der Begrenztheit und Ungewöhnlichkeit solcher Darstellungen – bisher kaum realisiert worden. Um so bemerkenswerter erscheint jenes parabelartige Beispiel Franz Kafkas, in dem erdachte Wirklichkeit als konjunktivisch beschriebene Möglichkeit der Inhumanität, die zum offenen Protest führt, und indikativisch (präsentisch) beschriebene Wirklichkeit, die das Inhumane verhüllt und so die Möglichkeit des humanen Engagements verhindert, gleichsam in zwei steigenden Perioden einander gegenübergestellt werden:

Wenn irgendeine hinfällige, lungensüchtige Kunstreiterin in der Manege auf schwankendem Pferd vor einem unermüdlichen Publikum vom peitschenschwingenden erbarmungslosen Chef monatelang ohne Unterbrechung im Kreise rundherum getrieben würde, auf dem Pferd schwirrend, Küsse werfend, in der Taille sich wiegend, und wenn dieses Spiel unter dem nichtaussetzenden Brausen des Orchesters und der Ventilatoren in die immerfort weiter sich öffnende graue Zukunft sich fortsetzte, begleitet vom vergehenden und neu anschwellenden Beifallklatschen der Hände, die eigentlich Dampfhämmer sind – vielleicht eilte dann ein junger Galeriebesucher die lange Treppe durch alle Ränge hinab, stürzte in die Manege, riefe das: Halt! durch die Fanfaren des immer sich anpassenden Orchesters.

Da es aber nicht so ist ... (F. Kafka, »Auf der Galerie«)

Kafka greift auch sonst auf konjunktivische Ausdrucksweisen zurück, es sei nur an ähnliche Spannungen zwischen dem Dargestellten und dem Möglichen in »Eine kaiserliche Botschaft« und »Der Dorfschullehrer« erinnert.

Dieses Ausgreifen in das nur Gedachte, Mögliche mit Hilfe des Konjunktivs findet sich zuweilen auch bei Erzählern der Gegenwart:

Das sind die hellen Tage im Dezember ... Es sind nicht viele ... Denn wenn es viele wären, geschähen auch zu viele seltsame Dinge, zu viele Kirchturmuhren würden sich ganz einfach in Gottes eigene Augen verwandeln ...

(I. Aichinger, »Engel in der Nacht«)

Mitunter weckt ein verneinter Wunschsatz des Erzählers eine bestimmte Gesamtstimmung:

Ach, wenn das alles doch nicht wahr wäre.

Er hörte die Stimmen der Frauen ...

(G. Ortlepp, »Ein Abend im Herbst«)

Die Wiederholung solcher Wunschsätze im »inneren Monolog« läßt die Situation oft um so bedrückender erscheinen:

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Fischer! weiter Fischer! links zwei drei vier wenn nur der Hunger der elende Hunger immer der elende links zwei drei vier links zwei links zwei links zwei - - - - Wenn bloß die Nächte nicht wärn. Wenn bloß die Nächte nicht wärn ... Du hättest mich nie allein lassen sollen, Mutter ... Nie hättest du das tun sollen...

(W. Borchert, »Die lange lange Straße lang«)

Oder sie spiegeln die Gedanken der handelnden Personen:

Hätt ich die Karte lieber dem Benedek geschenkt ... Aber da wär der Kopetzky beleidigt gewesen ... Übermorgen könnt ich eigentlich wieder hineingehen, zur »Traviata« ---- Wenn ich die Lage nur genau sehen könnt’! ...

(A. Schnitzler, »Leutnant Gustl«)

Versuche, ganze Erzählungen oder Erzählteile in indirekter Rede wiederzugeben, wie z.B. in G. Brittings »Der Verräter« oder, in anderer Weise, Edzard Schapers »Der Gouverneur«, sind vereinzelt geblieben.61

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