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Sowinski-Deutsche_Stilistik.doc
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Stileinheit und Gruppenwortschatz

In jedem Stilbereich wird die Kombination nichtzusammenpassender Stilelemente als störend empfunden. Dies gilt auch für den Sprachstil. Durch die gruppenmäßige Bindung des besonderen Wortschatzes ergibt sich jedoch die Gefahr der Mischung nichtzusammengehöriger Wörter. Sie ist vor allem innerhalb der schichtenmäßigen Stufung des Wortschatzes nach dichterischen, gehobenen, normal-(schrift-) sprachlichen, umgangssprachlichen, saloppumgangssprachlichen und vulgärsprachlichen Wortbereichen gegeben. Das Prinzip der Stileinheit (vgl. S. 31ff.), das dem kritischen Stilempfinden gerecht zu werden sucht, verlangt, daß der Wortschatz einer bestimmten Stilschicht oder Stilebene, insbesondere der extremen Ebenen, möglichst nicht verlassen werden soll. Wenn es in einem Zeitungsbericht heißt: Der Rohling zerschlug die Bierflasche am Haupte seines Gegners, so verstößt der Schreiber gegen die Stileinheit, weil er das der Dichtersprache oder gehobenen Sprache zugehörige Wort Haupt in einem normalsprachlichen, fast umgangssprachlichen Berichtssatz verwendet. Hier wäre das Wort Kopf angemessen gewesen. In doppelter Hinsicht verfehlt der Verfasser des Satzes: Klopstock machte sein Hobby, das Schlittschuhlaufen, in ganz Deutschland bekannt und beliebt, die Stileinheit des Wortschatzes, weil Hobby ein mehr umgangssprachliches Fremd- und Modewort ist, das hier weder der Stilebene des hochsprachlich-wissenschaftlichen Testes entspricht noch der Zeitcharakterisierung angemessen ist.134 Die Verwendung eines schichtgebundenen Wortes der extremen Bereiche des besonderen Wortschatzes in aber anderen Stilschicht kann allenfalls ironisch gemeint sein. Wenn jemand z.B. sagt: Ich haue dir eine ins Antlitz, so gehört diese Ausdrucksweise bis auf das letzte Wort der umgangssprachlich-saloppen Stilschicht an, Antlitz dagegen der gehobenen Stilschicht. Die Verwendung dieses Wortes hebt nicht den groben Satz in die gehobene Stilschicht, sondern schwächt höchstens die Grobheit der Wendung durch die anscheinend unpassende, aber ironisch relativierende Wortwahl Verstöße gegen die Stilebenen sind nicht selten; sie erwachsen oft aus dem Versuch, die Plattheiten der Alltagssprache zu überwinden, verraten dann jedoch ein wenig entwickeltes Stilempfinden.

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Fremdwörter als Stilmittel

Dem Fremdwort ist in älteren Stilistiken sehr viel Beachtung geschenkt worden, meistens allerdings unter dem Aspekt des Fehlerhaften, Stilwidrigen. Fast alle Stillehrbücher fordern dazu auf, Fremdwörter zu vermeiden und an ihrer Stelle heimische Wörter der deutschen Sprache, sogenannte Erbwörter zu verwenden. Diese Forderung steht in einer jahrhundertealten Tradition.

Sie zeigt, daß die Fremdwortfeindlichkeit, der sprachliche Purismus, nicht nur ein stilistisches, sondern stets zugleich ein politisch-ideologisches Problem war. Die gemeinsame Sprache wird bei allen Völkern als Grundlage einer nationalen Einheit empfunden, wiewohl es auch mehrsprachige Nationen gibt (Schweiz, Belgien usw.). In allen Sprachen finden sich aber auch Wörter aus anderen Sprachen, die mit den entsprechenden Sachen oder Vorstellungen übernommen worden sind, etwa aus der römischen Wirtschaft und Kultur, im Deutschen z.B. Ziegel (lat. tegula),Wein (lat. vinum), Keller (lat. cellarium).135 Solche Lehnwörter sind im Laufe der Zeit eingedeutscht, d.h. den deutschen Lautentwicklungen und Intonationsbedingungen unterworfen worden, und werden heute als heimische Wörter empfunden; ihre Herkunft ist allenfalls den Philologen bekannt. Auch in neuerer Zeit hat es solche Lehnwortübernahmen und Eindeutschungen gegeben, z.B. Wörter wie Sport (engl. sport < frz. de sport), Streik (engl. to strike) usw.

Daneben gibt es Wörter aus anderen Sprachen, die nicht in dieser Weise aufgenommen wurden, vielmehr weiterhin als Wörter fremder Herkunft, als Fremdwörter, empfunden werden. Gegen solche Fremdwörter, obwohl mitunter gleichzeitig mit einer Sache oder Mode übernommen, zuweilen aber auch aus fremdsprachlichen Konversationen bestimmter Schichten (z.B. dem Adel) eingedrungen, hat es schon im 17. Jahrhunden heftigen Widerstand gegeben. Aus dem Empfinden, die deutsche Sprache könne in Kreisen des Adels und höheren Bürgertums ihre gleichwertige Stellung als eine der Kultursprachen verlieren und durch das Französische verdrängt werden, haben sich nach dem Dreißigjährigen Krieg Adlige und Bürgerliche, insbesondere auch bürgerliche Dichter, in mehreren »Sprachgesellschaften« zusammengefunden, um vor allem der Fremdwörtelei durch deutsche Wortübersetzungen entgegenzuwirken. Viele dieser »Ersatzwörter« sind bis heute lebendig geblieben, z.B. Leidenschaft für frz. passion, Geschäftsmann für homme d'affaires136; andere Verdeutschungen wirken heute nur als komischer Übereifer. Die sprachpuristischen Fremdwortjagden und Übersetzungen, Ausdruck eines betont nationalen Sprachempfindens, nahmen zu Beginn des 19. Jhs. wieder zu und zeitigten manche lebendig gebliebene hochdeutsche Neuprägung für einstmal üblich gewordene französische Wörter, z.B. von J. H. Campe (1746-1818): Kreislauf für Zirkulation, Bittsteller für Supplicant, Festland für Kontinent, betonen für akzentuieren. Einen stärker organisierten, öffentlichen, ja mitunter chauvinistischen Charakter erlangtdieser Sprachpurismus jedoch erst im Zusammenhang mit den verschiedenen nationalistischen Bemühungen um eine kleindeutsche Reichseinigung und ihre Verwirk-

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lichung durch Bismarck. Inzwischen hatte die politisch-gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung zum Eindringen zahlreicher Fremdwörter in den Bereichen der Eisenbahn (z.B. Perron, Coupé, Billet, Conducteur usw.), Post, Presse (Artikel, Annonce), Wirtschaft (Inkasso, Obligation, Diskont usw.) und Politik (Debatte, Parlament, Resolution usw.) geführt, so daß Warnungen vor sprachlichen Überfremdungen seitens einer neuorganisierten »Sprachpflege«137 mit vielen Beispielen unterstrichen werden konnten. Zahlreiche Verdeutschungen bestimmter Fremdwörter, so im amtlichen Wortschatz von Eisenbahn und Post, haben sich im einstigen deutschen Staatsgebiet durchgesetzt, während in Österreich und der Schweiz dafür länger Fremdwörter galten, z.B. Perron: Bahnsteig, Plattform; Coupé: Abteil; Retourbillet: Rückfahrkarte; Advokat: Rechtsanwalt usw.

Mit dem Anwachsen eines neuen Nationalismus nach dem Ersten Weltkrieg nahm auch der »Sprachpurismus«, der schon vor und im Ersten Weltkrieg recht im Schwange war138, wieder zu und erreichte einen Höhepunkt in den ersten Jahren der NS-Zeit, bis er von den Machthabern des .Dritten Reiches«, die aus politischen Gründen nicht nicht auf bestimmte »Fremdwörter« verzichten wollten, selbst in seiner Aktivität eingeschränkt wurde.139 Mit dem Niedergang des deutschen Nationalismus nach 1945 scheint die Welle des Sprachpurismus in Deutschland verebbt zu sein. Wenn auch einige Stillehrbücher weiterhin fordern, Fremdwörter nach Möglichkeit zu meiden, so dürfte die Zeit für ein toleriertes Nebeneinander heimischer und übernommener Wörter sowie die unvoreingenommene Besinnung auf beider Verhältnis zueinander gekommen sein.

Der Fragenbereich des Fremdwortes ist unter kommunikativen wie stilistischen Gesichtspunkten zu betrachten. Dabei muß zunächst der Pauschalbegriff »Fremdwort« weiter differenziert werden. Die morphologische Unterscheidung zwischen Fremdwörtern, Lehnwörtern und Erbwörtern als Wörtern, die mehr oder weniger unverändert aus anderen Sprachen übernommen und noch als fremd empfunden werden140, Wörtern aus anderen Sprachen, die lautlich und grammatisch assimiliert worden sind, und Wörtern mit heimischen (ursprünglich deutschen) Bildungselementen berücksichtigt nur die Wortherkunft und -verän-derung, nicht aber den kommunikativen Gebrauch. Zu Recht hat P. v. Polenz141 darauf hingewiesen, daß selten gebrauchte heimische Wörter (z.B. Archaismen, vgl. S. 241 f.) ebenso als fremd empfunden werden können. Andererseits gibt es »Fremdwörter«, die aufgrund der grammatischen Assimilation (Angleichung an die deutsche Deklination) als »Lehnwörter« angesehen werden müßten (z.B. Folianten, Toiletten usw.), während geläufige Wörter fremder Herkunft (z.B. Lexikon, Atlas) ihre ursprüngliche Flexion beibehalten, aber inzwischen im Deutschen unersetzbar geworden sind.

Von der Wortverwendung her lassen sich zumindest vier Gruppen von »Fremdwörtern« unterscheiden, die zugleich einen unterschiedlichen Stilwert besitzen: 1. Fremdwörter einer Gruppensprache, 2. Internationalismen, 3. Fremdwortvarianten, 4. Fremdwortzitate. Diese Reihenfolge ist willkürlich und besitzt keinen wertenden Charakter.

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Als Fremdwörter einer Gruppensprache seien hier Wörter fremder Herkunft verstanden, die an bestimmte Sprechergruppen und Verwendungssituationen gebunden sind. Es kann sich dabei um recht unterschiedliche Gruppen handeln. So sind im Jargon bestimmter sozialer bzw. asozialer Gruppen, aber auch bestimmter Berufsgruppen neben assimilierten Lehnwörtern zahlreiche Fremdwörter enthalten. Mitunter finden sich hier abgesunkene Wörter einer Fremdsprache, die einstmals im hochsprachlichen Gebrauch üblich waren, z.B. malade (krank) sein, kaputtschlagen (zerstören), reell (offen, ehrlich) sein, fifty-fifty machen (teilen) usw., oder um Ausdrücke und Redewendungen gehobener Gesellschaftsschichten, z.B. bestimmter adliger oder bürgerlicher Kreise des 19. Jhs., die ihre Konversation mit französischen Wörtern ergänzten, wie z.B. der Stadtpoet Hoffstede in den »Buddenbrooks»:

Christian scheint mir ein wenig Tausendsassa zu sein, wie? ein wenig incroyable ... Allein ich verhehle nicht mein engouement. Er wird studieren, dünkt mich, er ist witzig und brillant veranlagt ... (Th. Mann, »Buddenbrooks«)

Kommunikativ gesehen, kann es sich bei solchen Fremdwörtern um den Versuch der gruppengebundenen Verständigung handeln, an der kein anderer teilhaben soll, also um eine Art Chiffrensprache, wie sie in manchen Jargon- oder Slangsprachen (Argots) anzutreffen ist142, in sozial höheren Schichten dagegen um eine Manier, gebildet zu wirken.

Als Internationalismen werden diejenigen Fremdwörter verstanden143, die in der Regel in allen Sprachgruppen und Funktionalstilen die gleiche Allgemeingültigkeit besitzen (auch wenn sie – wie z.B. wissenschaftliche Ausdrücke – nicht in allen Gruppen verstanden und benutzt werden) und nicht immer durch entsprechende deutsche Wörter ersetzbar sind. Dazu gehören Wörter wie interessant, konkret, Realität, Elektrizität, Information, Demokratie, Regie, Friseur, Konstruktion, Diskussion usw. sowie alle fremdwortlichen Fachterminologien.

Bei diesen Wörtern ist die kommunikative Leistung der Kennzeichnung allgemeiner Begriffe, der Abstraktion von Vorgängen oder der Zusammenfassung von Einzelheiten besonders wichtig. Durch das Fremdwort kann hier oft größere Klarheit und Sprachökonomie erreicht werden als durch teilsynonyme deutsche Wörter. Dies gilt vor allem für den wissenschaftlichen Sprachgebrauch, der auf diese Weise an Exaktheit gewinnt. Da die Fachterminologie der meisten Wissenschaften aus Internationalismen bzw. deren Ableitungen besteht, ist die Gefahr von Mißverständnissen, wie sie sich bei manchen Wörtern der Muttersprache aufgrund der ihnen zugeordneten Nebenbedeutungen und Gefühlswerte ergeben können, erheblich eingeschränkt.

Ein Beispiel für diese Leistung von Fremdwörtern liefern die grammatischen Begriffe, die lateinischen Grammatiktraditionen entstammen.144 Es sind zahlreiche Versuche unternommen worden, Wörter wie Subjekt, Substantiv, Verb, Prädikat usw. durch deutsche Wörter angemessen zu ersetzen. Die deutschen Ersatzwörter erwiesen sich jedoch in ihrer Bedeutung zumeist als zu eng, selbst im grammatischen Elementarunterricht. Wählt man z.B.

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»Dingwort« für Substantiv, so klammern Kinder z.B. leicht die Abstrakta aus, weil sie deren Dinghaftigkeit nicht empfinden; setzt man »Tätigkeitswort« für Verb, so werden Zustands- und Vorgangsverben wie ruhen, schlafen, sein oft nicht einbegriffen, da ihnen die Bedeutung aktiven Tuns ermangelt. Das Beispiel verweist jedoch zugleich auf die Grenzen, die dem Fremdwortgebrauch aus den Notwendigkeiten der Verständigung erwachsen. Die Verwendung von Fremdwörtern, deren Sinn nicht hinlänglich bekannt ist, verstößt gegen das Prinzip der Anschaulichkeit (und Verständlichkeit) der Aussagen. Die Forderung mancher Stillehrer, Fremdwörter möglichst zu vermeiden, wird von hier aus begreiflich.

Dies gilt vor allem für die zumeist einzeln auftretenden fremdsprachlichen Modewörter. Man denke etwa an z.T. umgangssprachlich verbreitete Wörter wie famos, schick, prima oder an journalistisch populär gemachte Anglizismen wie twen, teenager, party, Team, meeting, drink, know-how, sit-in usw.145

In einigen Fällen verbindet sich mit dem neuen Wort eine neue Sache oder zumindest eine neue oder bisher nicht so erlebte Vorstellung, z.B. bei Happening, Poster, Hearing u.dgl. Hier ist ein Überdauern eher zu vermuten, zumindest solange sich keine deutsche Ersatzform durchsetzt.

Von solchen Fremdwortübernahmen sind die Zitate aus fremden Sprachen zu unterscheiden, Angaben fremder Einrichtungen, Gepflogenheiten, Sitten, aber auch bestimmte Redensarten und wirkliche Zitate, deren fremdsprachliche Fassung beibehalten wird (z.B. Arc de Triomphe, de Gaulles Vive la France! u.dgl.). Hier wäre eine bloße Übersetzung weniger angemessen, sie kann allenfalls als Apposition oder Klammererläuterung hinzugefügt werden, da sie sonst das Charakteristische des Zitats zerstören würde.

Fremdwörter sind ein besonders auffälliges Stilmittel jedes Textes und jeder Redeweise. Durch ihre Art und ihren Anteil können der jeweilige Gesamtstil eines Textes wie auch die Sprechart einzelner Personen in bestimmter Weise charakterisiert werden.

In der Dichtung wird von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, wenn die besondere Redeweise von Einzelpersonen und Gesellschaftskreisen treffend dargestellt werden soll, also bestimmte »Sprachporträts« entworfen werden, wie sie vor allem in Roman und Komödie üblich sind. Theodor Fontane z.B. hat in seine Berliner Romane häufig Fremdwörter eingestreut, wenn er die Reden der Vertreter des Adels oder des Großbürgertums charakterisieren will:

... ich fürchte beinah ein momentanes Wachsen des tic douloureux. Trotzdem bin ich ihrer sicher. Landpartie mit Quartett und von solcher gesellschaftlichen Zusammensetzung, – die Freude darüber bleibt prädominierendes Gefühl. Dem ist keine Migräne gewachsen ... (Th. Fontane, »Frau Jenny Treibel«)

Fremdsprachliche Wörter tragen mitunter dazu bei, eine fremdländische Atmosphäre zu vermitteln. Dies wird vor allem durch fremde Narnen und Benennungen erreicht, die meistens nicht übersetzbar sind:

Ihr Blick wanderte zu der phantastisch überladenen Dekoration der Galleria hinauf; als er zurückkehrte, geriet er in den Blick eines Mannes, der an einem Tisch im Biffi saß, einen Espresso vor sich, scheinbar den »Corriere« lesend.

(A. Andersch, »Die Rote«)

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Auch eine humorvolle oder satirische Wirkung kann durch Fremdwörter erzielt werden. In der sogenannten »makkaronischen« Dichtung der Antike wie der Neuzeit mit ihren Vermengungen von fremden und heimischen Spracheigenheiten wurde dies besonders eindrucksvoll verwirklicht (vgl. z.B. J. M. Moscheroschs satirische Burleske »Fahrismus in Schlittis« oder B. v. Münchhausens »Totschlago vos sofortisseme nisi vos benehmitis bene«). Das bekannteste Beispiel dieser Art dürfte die Sprechweise des Riccaut de la Marlinière in Lessings »Minna von Barnhelm« sein, der sein vorgebliches Wissen um Tellheims Glück zu einer Anleihe bei Teilheims Braut zu nutzen versteht:

Mein Namen wünscht Ihro Gnad? – Vous voyez en moi – Ihro Gnad seh in mik le Chevalier Riccaut de la Marlinière, Seigneur de Prêt-au-val, de la Branche de Prens d’or. – Ihro Gnad steh verwundert, mik aus so ein groß, groß Familie zu hören, qui est véritablement du sang Royal ...

Den bisher genannten Beispielen der Fremdwortverwendung, die eine charakterisierende Funktion ausübten, stehen die gegenüber, die benutzt werden, um bestimmte Sachverhalte zu verschleiern oder um einen Eindruck zu erwecken, der durch entsprechende heimische Wörter nicht erreicht würde. In der Untersuchung von P. v. Polenz über den Sprachpurismus in der NS-Zeit finden sich Beispiele dafür, daß die nationalsozialistischen Machthaber keineswegs gegen Fremdwörter waren, wenn diese ihren Zwecken dienten. Bezeichnend dafür ist eine Weisung der NS-Behörden vom 28. 7. 1937, wonach das Wort Propaganda nur der Meinungsmanipulation der Nationalisten, das deutsche Wort Hetze aber der Agitation ihrer Gegner vorbehalten bleiben sollte (»Propaganda nur dann, wenn für uns, ›Hetze‹ wenn gegen uns«).146 Ähnlich verhielt es sich mit der Ersetzung von Völkerbund durch Genfer Entente. Der Romanist V. Klemperer hat Hitlers Vorliebe für Fremdwörter wie folgt erklärt: »Was Hitler furchtbar genau kennt und in Rechnung stellt, ist stets die Psyche der nicht denkenden und in Denkunfähigkeit zu erhaltenden Massen. Das Fremdwort imponiert, es imponiert um so mehr, je weniger es verstanden wird, in seinem Nichtbegriffen werden beirrt und betäubt es, übertönt es eben das Denken.«147 Es ist an anderer Stelle schon auf die unterschiedliche Auslegung einiger politischer Begriffe in der Gegenwart hingewiesen worden. Auch hier besteht die Möglichkeit, bestimmte Verhältnisse, z.B. Diktaturen, durch Fremdwörter und ihre Ableitungen, wie etwa Demokratie, Demokratisierung, zu verschleiern.

Diese Methode der Vortäuschung durch die Verwendung von Fremdwörtern trifft man aber auch bei Einzelpersonen an, die auf diese Weise den Anschein erwecken wollen, eine höhere Bildung oder einen höheren sozialen Status zu besitzen, als ihnen eigen ist.

Heinrich Mann hat diese Versuche in seinen satirischen Romanen wiederholt bloßgestellt. Wir nennen ein Beispiel des Kontrastes zwischen hochgreifenden und platten Vulgarismen aus »Der blaue Engel« (»Professor Unrat»):

Um derKünstlerin Fröhlich immer noch die Wahl zu lassen, legte er die Briefta-sche geöffnet auf den Tisch: »Platzen wir uns mal endlich«, sagte sie, und heiter

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ablenkend: »Haben SLie aber 'n gespicktes Portefölch!« Da er in kühlem Schweigen blieb: »Wie Sie all das Pinke-Pinke bloß loswerden. Sie tragen ja nicht mal Ringe an den Fingern.«

Theodor Fontane greift solche Charakterisierungen in der Zeichnung der zur Frau Kommerzienrat aufgestiegenen Krämerstochter Jenny Treibel, geb. Bürstenbinder, auf. Das folgende Beispiel zeigt zudem, wie der Autor gleichzeitig das Fremdwort als Ausdrucksvariante eines heimischen Wortes (Erregung-Alteration) nutzt:

Du siehst, daß ich eine Alteration gehabt habe, und die Form, in die du deine Teilnahme kleidest, ist die geschmacklockloser Vergleiche. Was meiner Erregung zugrunde liegt, scheint deine Neugier nicht sonderlich zu wecken.

(Th. Fontane, »Frau Jenny Treibel«)

Eine weitere Form verschleiernder Fremdwörter findet sich in zahlreichen Neuprägungen der Werbesprache, die durch Wortbildungen aus Elementen anderer, zumeist antiker Sprachen für Namen und Produkte den Eindruck einer wissenschaftlichen Terminologie zu erwecken suchen, ganz gleich, ob es sich dabei um linguistisch tautologische oder sonst unpassende Bildungen handelt (vgl. biovital, Fernseh-Television-Kundendienst, antirheumatische Rheumatabletten u.dgl.) oder um charakterisierende Medikamentbezeichnungen (z.B. Rhinospray = Nasensprüher, Completovit = Vitaminkomplettierung) oder um Phantasiebildungen (z.B. vivioptal). Solche Fremdwortvollformen haben alte heimische Bildungen wie z.B. Herztropfen, Nerven-Stärkung usw. sehr zurückgedrängt. Ähnliche Fremdwortbildungen treten im Arzneimittelbereich am häufigsten auf, weil der Glaube an die Wirkung wissenschaftlich entwickelter oder zumindest so dekorierter Medikamente besonders stark ist.

Für den Laien ist es oft schwer zu unterscheiden, wo ein Fremdwort eine eichte Benennungsfunktion oder eine verschleiernde oder vortäuschende Funktion aufweist. Mitunter erfordert die stilistische Textanalyse hier ein größeres Hintergrundwissen als andere sprachwissenschaftliche Bereiche.

Man kann heute nicht mehr jedes »Fremdwort« meiden und zu verdeutschen suchen. Dafür ist das moderne Leben mit seinem Informationen- und Produktenaustausch zu sehr auf internationale Verständigung, auch im Wortschatz, angewiesen. Für zahlreiche neue Vorstellungen haben wir neue, zumeist fremde Wörter übernommen, die keine deutsche Entsprechung haben. Die stilistische Bedeutung des Fremdwortes als konstituives und fakultatives Element im positiven wie im negativen Sinne bleibt so uneingeschränkt bestehen.

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