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Sowinski-Deutsche_Stilistik.doc
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Möglichkeiten des Wechsels im Tempussystem

Das grammatische Tempussystem ist in letzter Zeit wiederholt Gegenstand sorgfältiger Untersuchungen geworden8, die besonders auf die engen Beziehungen zwischen der Wahl des grammatischen Tempus und der beabsichtigten Erzählweise eines Autors hingewiesen und somit die stilistische Bedeutung des Tempus unterstrichen haben.9

Als wichtigste Einsicht der verschiedenen Untersuchungen ergab sich, daß grammatische Tempusgruppen und die meßbaren tatsächlichen Zeitstufungen außersprachlicher Wirklichkeitsvorgänge nicht stets einander bedingen oder miteinander konform oder identisch sind. Die von einem Sprecher jeweils gewählten Tempusstufen sind vielmehr von kommunikativen (situativen und gattungsmäßigen) Erfordernissen abhängig und signalisieren dann

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Aussage-Perspektiven des Sprechers, seine Charakterisierung von Geschehnissen durch bestimmte Grade und Relationen von Allgemeingültigkeit, Präsentation, Erwartung, Erleben, Erinnerung, Kontinuität, Sukzession und Abstufung. Der Sprecher kann nicht willkürlich Tempusformen wählen, er ist bei der Wahl weitgehend an bestimmte Grundstufen und Komplementär-Stufen der jeweiligen sprachlichen Darstellungsform gebunden. Er hat aber dazu und darüber hinaus verschiedene Möglichkeiten der Variation, die ebenso wie die gewählte Grundform bestimmte Aussagewirkungen zeitigen und als individuelle wie funktionale Stileigentümlichkeiten angesehen werden können.

Im einzelnen kennt die deutsche Sprache zwei synthetisch gebildete (d.h. Lexem und Morphemzeichen in einem Wort verbindende) Tempora (Präsens und Präteritum bzw. Imperfekt) und vier analytisch (d.h. aus zwei «Wörtern« gebildete) grammatische Tempora (Perfekt, Plusquamperfekt, Futur I, Futur II). Daneben kann die Tempusform des Textes durch zusätzliche oder (neben tempusneutralem Präsens) ausschließliche Tempusadverbien bzw. temporale adverbiale Angaben ausgedrückt werden.

Nur wenige Textformen lassen das Nebeneinander mehrerer Tempora im gleichen Text zu, die meisten beschränken sich auf ein Haupttempus und erlauben allenfalls bestimmte »Nebentempora«.

Der Wechsel der Tempusformen im Deutschen

Soweit es sich bei den grammatischen Tempora um Kennzeichen bestimmter Aussageperspektiven mit unterschiedlicher zeitbezogener Abstufung handelt, sind hier auch geregelte Abfolgen einzelner Tempora möglich. Sie beziehen sich sowohl auf die Tempusverhältnisse einzelner Sätze im gleichen Text als auch auf die Tempusverhältnisse zwischen Haupt- und Nebensatz im Satzgefüge. Hier gelten noch in begrenztem Maße die aus dem Lateinischen übernommenen Regeln der consecutio temporum (Zeitenfolge) mit den Verhältnissen der Gleichzeitigkeit, Vorzeitigkeit und Nachzeitigkeit.

Der Begriff der Gleichzeitigkeit besagt, daß zwei im Textkontakt und gleichem Tempus stehende Ereignisse als in der gleichen Zeitstufe sich vollziehend aufgefaßt werden; er bedeutet aber keine absolute Synchronie. Die Verben der beiden Sätze: Das Mädchen lag im Bett, schlief und träumte und Das Mädchen legte sich ins Bett, schlief ein and träumte, stehen im Verhältnis der Gleichzeitigkeit, obwohl die drei Vorgänge des ersten Satzes simultan, die des zweiten Satzes sukzessiv vor sich gehen. Heißt es jedoch: Das Mädchen hatte sich ins Bett gelegt, ich lief nun und träumte, so steht das erste Verb zu den beiden folgenden im Verhältnis der Vorzeitigkeit. Ebenso wenn es heißt: Das Mädchen hat sich ins Bett gelegt und schläft und träumt (jetzt).

Verhältnisse der Gleich- und Vorzeitigkeit können unter anderem Aspekt auch als solche der Nachzeitigkeit erscheinen, wenn das im untergeordneten Satz ausgedruckte Sein oder Geschehen dem im übergeordneten Satz folgt, z.B.: Das Kind spielt (spielte) im Bett, bis es einschläft (einschlief). – Das Kind

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wird im Bett spielen, bis es einschläft u.ä. Wird ein Sein oder Geschehen als dauernd gültig oder als sich wiederholend empfunden, so erscheint es in einer tempusneutralen (atemporalen) Präsensform unabhängig von der Zeitenfolge, z.B. Er sah den Berg, der über dem Dorf aufragt. – Er wird den Berg sehen, der über dem Dorf aufragt.

In Tabellenform ergeben die Regeln der Zeitenfolge diese Ordnung (seltener gebrauchte Kombinationen in Klammern):

Z eit A Zeit B Beispielsatz

(übergeordn.) (untergeordn.)

V orzeitigkeit:

Präsens Perfekt: Wir freuen uns, daß er gekommen ist.

Präterit. Pl.qu.perf.: Wir freuten uns, daß er gekommen war.

(Perfekt) (Perfekt): Ich habe gesehen, daß er es getan hat.

(Pl.qu.perf.) (Pl.qu.perf.): Er hatte ihn erkannt, obwohl er

ihn vorher nie gesehen hatte.

Perfekt Pl.qu.perf.: Er hat mit ihm gesprochen,

sobald er ihn erreicht hatte.

(Futur I) (Präsens): Er wird nicht reisen, bevor er es weiß.

(Futur I) (Perfekt): Er wird nicht reisen, bevor er es

gesehen hat.

Gleichzeitigkeit:

Präsens Präsens: Wir freuen uns, wenn er kommt.

Präteritum Präteritum: Wir freuten uns, als er kam.

(Perfekt) (Perfekt): Wir sind zu Hause geblieben,

während es geregnet hat.

(Perfekt) (Präteritum): Wir haben uns gefreut, als er kam.

Futur I Präsens: Wir werden um freuen, wenn er kommt,

Nachzeitigkeit:

Präsens Präsens: Ich warte, bis er kommt.

Präteritum Präteritum: Ich wartete, bis er kam.

Perfekt Präteritum: Ich habe gewartet, bis er kam.

Präteritum Pl.qu.perf.: Ich wartete, bis er eingeschlafen war.

Perfekt Pl.qu.perf.: Ich habe gewartet, bis er einge-

schlafen war.

Pl.qu.perf. Präteritum: Er hatte warten müssen, bis ihn

jemand abholte.

Futur I Präsens: Ich werde so lange warten, bis

ich ihn sehe.

Präsens Futur I: Wir bleiben zu Hause, weil es

regnen wird.

(Futur I) (Perfekt): Ich werde warten, bis ith ihn

gesehen habe.

(Futur II) (Präsens): Ich werde dort gewesen sein,

bevor er kommt.

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Die Übersicht zeigt, daß mehr Kombinationen zulässig sind, als die Angaben der meisten Grammatiken ahnen lassen. Darüber hinaus finden sich im Sprachgebrauch auch bei bedeutenden Schriftstellern Abweichungen von den hier aufgezeigten Möglichkeiten, z.B. wenn im Nebensatz ein längeres (vorzeitiges) Geschehen bezeichnet wird:

Heute in acht Tagen muß ich das Leben, das mein Freund in Paris führte, ... kennen. (W. Jens)

Oder wenn ein größerer Zeitabstand zwischen einem vorzeitigen Ereignis und der Gegenwart der Schilderung besteht:

Wie ich eben in ihren Notizen blättere, finde ich noch einen Zettel, den ich früher übersehen hatte. (Chr. Wolf, »Nachdenken über Christa T.«)

Bei Vermutungen und Kennzeichnungen bloßer Möglichkeiten werden übliche Ternpusverhältnisse ebenfalls gern durchbrochen (wie auch die Entwicklung des Futur II, besonders der 3.Person, zeigt):

Aber Gott kann doch nicht, als er den Menschen bastelte, schon mit der Erfindung der Photographie gerechnet haben. (M. Walser, »Halbzeit«)

Ähnliches gilt für Bewußtseinsinhalte wie für manche Inhaltssätze:

Wir hatten keine Ahnung, wo wir sind. (M. Frisch, »Homo Faber«)

Tatsächlich, ich bin stolz darauf gewesen, daß mir das mit der Kohle eingefallen war. (G. Gaber, »Schlußball«)

Beim Gebrauch des atemporalen Präsens zum Ausdruck zeitlos gültiger oder sich wiederholender Angaben können alle übrigen Tempora in allen Zeitenfolgeverhältnissen mit dem Präsens kombiniert werden:

In Neu-Spuhl sprach man davon, was die Sachen kosten.

(G. Gaiser, »Schlußball«)

Der halbe Pionier schwoll and schwoll wie ein ungeheuerer Schwamm, der sich mit bleiernem Blut vollsaugt. (H. Böll, »Die Essenholer«)

Er hatte gesehen, wie ein Mensch stirbt.

Wir werden ihn dort treffen, wo das Denkmal steht.

Die aufgeführten Möglichkeiten der Zeitenfolge sollten allerdings nicht zu dem Schluß führen, daß hier Regellosigkeit herrscht, sie zeigen jedoch an, daß manche stilistischen Variationen zulässig sind.

Die stilistische Bedeutung und Eigenart der einzelnen Tempusformen wird auch bei einem Überblick über Besonderheiten dieser Formen sichtbar.

Die stilistischen Besonderheiten der einzelnen Tempusformen

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