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Sowinski-Deutsche_Stilistik.doc
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Untertreibungen und Übertretungen

Als Sonderformen der uneigentlichen, häufig auch bildhaften Ausdrucksweise verdienen die Untertreibung und die Übertreibung erwähnt zu werden. Dabei geht es um den Ersatz eines gemeinten, aber nicht durch ein Eigenwert ausgedrückten Sinnes. Daß wir es hier mit Ersatzformen zu tun haben, erkennen wir entweder aus dem Wortcharakter der Aussagenkonstruktion oder dem sprachlichen oder situativen Kontext, soweit der jeweilige Autor diese Formen stilistisch deutlich macht und nicht unwahr darstellt.

Der Ausdruck der Untertreibung oder Abschwächung des Gemeinten kann auf verschiedene Art und Weise erfolgen. In der Alltagsrede sind dafür einfache adverbiale Umschreibungen wie das ist halb so schlimm, das macht (tut) nichts u.dgl., aber auch Diminutivformen (das Schmerzchen) und adjektivische Zusätze (ein kleiner Unfall) üblich, um Unangenehmes abzuschwächen.

Ein meist lexikalisches Stilmittel dieser Art ist der Euphemismus, die Glimpflichkeitsumschreibung166, die in der Alltagssprache, im Geschäftsverkehr, in der Politik und in der Literatur anzutreffen ist, wenn es gilt, einen Sachverhalt in seiner Wirkung irgendwie abzuschwächen. Es sei hier nur an

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die zahllosen Umschreibungen des Sterbens erinnert (vgl. S. 205), die oft noch an die ursprüngliche Tabuierungsfunktion des Euphemismus erinnern.167 So wie etwa die Griechen die Rachegöttinnen (Erinnyen: euphemistisch als »Eumeniden« bezeichneten, manche Völker den Wolf nicht beim Namen nannten, sondern als »Graurock« o.ä. umschrieben, so scheut man sich vielfach noch, das Phänomen des Lebensendes unmittelbar zu bezeichnen. Im gleichen Sinne wird manchmal Gefährliches, z.B. im Krieg, durch Euphemismen untertrieben (z.B. Eier für: Bomben). Ähnliches, wenn auch weniger tabuiert, sondern psychologisch motiviert, gilt für das Eingeständnis eigenen Versagens oder Unglücks (Ich hatte Pech o.ä.). In bestimmten Stilformen, etwa denen des diplomatischen Verkehrs, gehören abschwächende Redewendungen durchaus zum üblichen Ausdruck. Ein weiterer Anwendungsbereich ist die Sprachmanipulation in der Politik. So wurden z.B. in der NS-Zeit die Terrorhaft als Schutzhaft, Zwangsdeportierte als Fremdarbeiter, Massenmorde als Sonderbehandlungen, der Massenmord an den Juden als Endlösung getarnt. Muster ständiger Euphemisierungen waren die Wehrmachtsberichte der letzten Kriegsjahre, wenn von Einbrüchen statt Eroberungen des Gegners, von Absetzbewegungen und Frontbegradigungen statt Rückzügen, Belastungen statt Niederlagen gesprochen wurde.

Inwieweit heute bestimmte »neutralisierende« Begriffe (wie z.B. Arbeitgeker, Koexistenz, soziale Marktwirtschaft als Euphemismen zu gelten haben, hängt vom parteilichen Standpunkt der einzelnen Sprecher ab.

Schließlich ist auf die Abschwächungen von möglichen Härten im Geschäftsstil hinzuweisen, wo z.B. bei Mahnungen zunächst recht höflich auf Versäumnisse o.ä. hingewiesen wird; um den Kunden nicht zu verärgern, z.B.:

Es dürfte Ihrer Aufmerksamkeit entgangen sein, daß am 1.4. die erste Rate Ihrer Versicherungsprämie fällig war ...

Auch im Konfektionsverkauf und änlichen Branchen gibt es besondere Euphemismen, z.B. Kleider für vollschlanke (statt für »dicke«) Damen usw. In der Dichtung kann mit verhüllenden oder abschwächenden euphemistischen Wendungen, soweit sie nicht zur Umschreibung gesellschaftlicher Tabus dienen (z.B. bei Begriffen der Intim-, Sexual- oder Fäkalsphäre), oft eine ironische oder satirische Darstellungsabsicht verbunden sein, z.B.:

Mit diesem Eindruck, den jede ihrer begehrlich trägen Bewegungen hervorrief, stimmte durchaus überein, daß höchstwahrscheinlich ihr Verstand von Herzen untergeordnet war. (Th. Mann, »Luischen«)

Eine Sonderform der Abschwächung stellt die Litotes dar, die Hervorhebung eines Faktums durch die Verneinung (oder doppelte Verneinung) seines Gegenteils oder eines geringen Teils, z.B. es ist nicht unwahrscheinlich; er redet nicht schlecht; er hat dafür nicht wenig erhalten.

Den abschwächenden Ausdrucksformen stehen die steigernden, übertreibenden gegenüber, die unter dem Begriff der Hyperbel (gr. Überwerfen, Übermaß) zusammengefaßt werden. Hierbei wird mehr (oder weniger) ausgedrückt, als tatsächlich gemeint ist. Oft wird dabei die Glaubwürdigkeit überboten.168 Auch die Hyperbel erscheint in erstarrten Formen wie: todmüde, hundsmiserabel, splitternackt, totenstill, es regnet in Strömen, eine

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Ewigkeit warten, ein Loch in den Bauch fragen usw. Wie in der Umgangssprache finden sich solche Übersteigerungen in volkstümlichen Dichtungen:

Kern Feuer, keine Kohle kann brennen so heiß,

wie heimliche Liebe, von der niemand was weiß.

(Volkslied)

Dichterische Hyperbeln sind oft mit Metaphern oder anderen Bildern verbunden, z.B.:

Soll die Glut denn ewig,

Vorsätzlich angefacht, mit Höllenschwefel

Genährt, mir auf der Seele marternd brennen?

(Goethe, »Iphigenie«)

Reich an Hyperbeln ist die Dramatik des »Sturm und Drang«:

Ich fühle eine Armee in meiner Faust –

(Schiller, »Die Räuber«)

Jean Paul bevorzugt komisch übersteigernde Vergleiche:

Die Quecksilbersäule des Barometers,die führende Feuersäule der Wetterpropheten, ruhet fest über Fixleins Bundeslade.

(Jean Paul, »Leben des Quintus Fixlein«)

Hyberbolische Stilelemente gibt es auch in Werbetexten (nach R. Römer169 ist der Siil der Werbesprache stets positiv und hyperbolisch, superlativisch), allerdings beschränkt sie sich oft auf traditionelle Steigerungswörter (z.B. blitzneu, brandneu, extrafein) oder steigernde Zusatzwörter (Ultra-, Super-, Extra-, Wunder-, Groß-, Luxus-, All-, Doppel-, Traum-, Welt- usw.)170, weil die einstmals üblichen superlativischen Übersteigerungen wenig Anklang finden171 oder anderes ausschließende Anpreisungen (z.B. das beste Waschmittel) gegen die Wettbewerbsgesetze verstoßen (nicht aber: das beste Persil, das es je gab).

Schließlich ist noch auf eine Reihe stilistisch unschöner, aber häufig verwandter adverbialer Steigerungen hinzuweisen, wie sie in Geschäftsbriefen oft stehen (z.B. zutiefst berührt, vollstes Verständnis, baldmöglichst, allerbeste Ware u.ä.).

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